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oder

Du sollst

 

Marsyas

Zugegeben,
mein Instrument,
es klingt gedeckter, dumpfer
als die Leier,
so wie du sie zupfst und schlägst.
Und meine Lippen, fest
umschließen sie das Doppelrohr.
Du aber singst
zum Klang der Leier
dein tönend Lied
- wie ehedem.

Kein Wettspiel
wag ich, denn der Häutungen
sind schon genug
in dieser Zeit.
Die letzte,
ich erspar sie mir.

Du bist der Gott,
der alle andern
schweigen macht.
Und der dem Menschen Regel
Recht und Ordnung
schenkt - zugleich auch fordert
Unterwerfung.

Doch lass mich blasen
ruhig und melodiös
mein Doppelrohr
- so wie ichs kann.

 

Du sollst I.1

Du Einziger

Nein, nicht Baal;
den Weg dorthin
wo du bist
weist der auch.

Doch
lieber Dionysos;
friedvoller dem Menschen
freundlicher ist die Ekstase.

Mystisch - wie Mänaden -
dich zu kosten,
Einziger.

 

Du sollst I.2

... oder etwas salopper

Ja, aber
meiner Frau
meinen Kindern
meiner Arbeit
meinem Schreiben
meinen Büchern
meinem Wein
meinen Freundinnen
meinen Freunden
meinem Essen
meinen Träumen
könntest du
doch ein wenig
Platz lassen!

 

Du sollst II.1

Galathea

Selbstverliebtes, du -
Bildnis mir gelungen.

Seelenvolles Kunstwerk,
das ich sehnte, das ich liebe;
dem ich mich, weil es von mir
Teil ist, teilen möcht.

Leben hast du nur von mir.
Leben kannst du nur durch mich.
Lieben darf nur einer dich.

 

Du sollst II.2

Schaumgeboren

Der See glänzt das Licht aus,
dämmriger Nebel lastet.
Der Horizont, nur
schemenhaft
gibt er die Berge frei;
ob Schnee, ob Nebel
oder Wolken den weißen Schleier bilden,
ich weiß es nicht
- doch fühl ich ihn.

Und sachte plätschert Wasser
windbewegt
die Mole an.
Die Möwen kreischen
kreisend über mir.
Das Bläshuhn, grade noch
ein Schwarz auf Graublau,
ist verschwunden.
Luftblasen künden
- Schaumgeborenes.

 

Du sollst III.2

Kleinigkeiten

Oh Gott!
Was einem alles so passiert,
v.a. wenns pressiert.

Da fallen Gläser,
kracht das Blech,
etc. etc.

Kreuzsakrament!
Jetzt auch noch das,
der Haustürschlüssel steckt von innen.

Herrgott nochmal!
Hättst du bloß besser aufgepaßt;
doch immer: eilig, eilig.

 

Du sollst IV.2

Sonntagmorgen

Sonntagmorgen;
blauer Himmel, zwei Wolken,
eine rechts, eine links vom Kirchturm.

Sonntagmorgen;
Glockengeläut, die Alten
gehen ihm nach, paar Junge auch.

Sonntagmorgen;
Balgen im Bett, die Kinder
merken, dass Sonntag ist: Papa bleibt da.

Sonntagmorgen;
Frühstück, heute gemeinsam;
keine Hektik, keine Zeitung - nur vom Samstag.

Sonntagmittag;
Spaziergang, Kaffee und Kuchen,
usw. usw.

 

Du sollst VI.1

Hermanubis

Ja, leiten darfst du sie
hinab, die Seelen,
ihnen Fährtensucher sein,
der Stab dem Strauchelnden
in seiner Angst.

Doch wer darf sie dir schicken?
Wer ist berufen,
über Tod und Leben richtend,
Schlächter uns zu sein?
Ein Gott - wo möglich -
sicherlich kein Mensch.

 

Du sollst VI.2

Wortlos

Und immer noch,
wieder und wieder,
stürzen sie herab,
die Fallbeile des Henkers.
Todesspritzen, Gas, elektrischer Stuhl
und die Salven der Erschießungskommandos.
Das Zucken des Erhängten
im Todeskampf.

Komm,
gehn wir Taubenvergiften!
Den Palmzweig
tragen die schon lange
nicht mehr.

 

Du sollst VII.1

Susanna

Oh Lilje, schönste unter den Blumen;
doch deine Schönheit macht Lust,
dich zu brechen.

Oh Lilje, reinste unter den Blumen;
doch deine Reinheit schützt dich nicht
vor dem Urteil.

Oh Lilje, hellste unter den Blumen;
und deine Helligkeit hilft dir,
dass du erkannt wirst.

Oh Lilje, Rose der Trauer,
denn der Liebe wohnt das Leid nahe.

 

Du sollst VII.2

Du bist schön

Du bist schön!
Siehe, schön bist du.

Deine Augen, dein Haar,
deine Zähne, deine Lippen,
deine Wangen, dein Hals.
Und deine Brüste:
ihr junges Rund
lässt mich an Rosenhügel,
an Venusberge denken.

Ich will dich pflücken
und von deinen Früchten kosten,
meine Geliebte.

 

Du sollst VIII.1

Prometheus

Und wenn wir auch die Leber
tagtäglich opfern sollten,
so ist der Raub,
weil Wärme er, ja Menschlichkeit
dem Menschen gab,
zu loben.

Du raubtest nicht aus Übermut den Göttern,
was sie im Überfluss besaßen;
du nahmst nur das,
was Gott vom Tier geschieden,
und hast es uns geschenkt,
damit wir Menschen würden.

 

Du sollst VIII.2

Definition

Das Kind seinen Eltern,
und das Kind, was es mag.
Die Eltern der Steuer,
dem Staat und wos sonst geht.
Der Kaufmann, ganz gleich
wie die Eltern, wie alle.
Und alle so, wie die
Träger des Staates.

Und nur beim Kind
heißt es: stehlen.

 

Du sollst VIII.3

Geduld

Die Regenwälder und
der Baikal-See,
Symptome nur;
Papier, Papier, Papier ...
Es sei geduldig,
sagt man.
Und die Natur?

 

Du sollst IX.2

Pla Pla Pla

St. Georg auf der Reichenau -
die Kuhhaut gilt nicht nur
den Weibern.
Geschwätz - ja Pla Pla Pla
landauf landab.
Und selten Gutes über andre.

Noch besser taugt die Kuhhaut
als Stiefelleder.
Denn Lügen haben
Siebenmeilenstiefel an;
sie eilen hin
und haben weder Rast noch Ruh.

 

Du sollst X.2

Haben

Ein kleines Kind,
es streckt die Hände aus:
"Ich will das haben!"

Stets ist es das,
was nicht schon unser ist,
das wir begehren.

Und immer ist das Auge
noch größer als der Mund
und als die Hände.

Ich greife, um zu haben,
und ich begreife nicht,
dass ich an mir die Überfülle
habe, wenn ich wahrhaft bin.

 

 

© Dr. Rüdiger Krüger, Rheda-Wiedenbrück 2006
Kontakt: mailto:siegfriedcarl@hotmail.com
letzte Änderung: 07.05.00

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