Annalen
zu Fanny Hensel, geb. Mendelssohn
verwoben mit Daten zu Wilhelm und Luise Hensel
sowie Felix Mendelssohn Bartholdy
Daten
– Bilder – Zitate
„Seine [Felix] älteste Schwester Fanny stand ihm durch ihre eminente
musikalische Befähigung sehr nahe, und ihr trefflicher Charakter, der klare
Verstand, ihr durchaus vernünftiges, aber reiches Gefühlsleben – das nicht
jedem erkennbar war – vermochte in Felix erregtem Wesen Manches auszugleichen.
Eduard
Devrient, Meine Erinnerungen an Felix Mendelssohn Bartholdy, Leipzig 1872
1794 Am 6.
Juli Geburt von Wilhelm Hensel als Sohn des evangelischen Geistlichen Johann
Jakob Ludwig und seiner Frau Louise Johanne in Trebbin.
1796 Umzug
der Hensels nach Linum bei Fehrbellin in der Mark Brandenburg, wo dem Vater eine
wesentlich besser dotierte Pfarrstelle angeboten wurde.
1798 Am
30. März Geburt der Luise Hensel, als viertes Kind nach Wilhelm, Ludwig und
Karoline.
1805 Am
14. November Geburt der Fanny Caecilia Mendelssohn in Hamburg als Tochter des
Bankiers Abraham Mendelssohn (1776-1835) und seiner Frau Lea, geborene Salomon
(1777-1842).
1809
Am 3. Februar Geburt des später berühmten Bruders Felix Mendelssohn
ebenfalls in Hamburg.
1810
Nach dem Tod des Vaters (1809) zieht die Familie Hensel nach Berlin
1811
Am 11. April Geburt von Fannys jüngerer Schwester Rebecka Mendelssohn.
1812
Die Familie Mendelssohn siedelt wegen der Kontinentalsperre Napoleons
gegenüber England nach Berlin über, wo die Brüder Abraham und Joseph ein
Bankhaus betreiben. Paul Mendelssohn, der jüngste Bruder Fannys, kommt hier am
30. Oktober zur Welt.
ab 1815
Luise Hensel verkehrt auf Vermittlung ihres mittlerweile als Maler und
Porträtist zu einigem Ansehen gelangten Bruder Wilhelm im Künstlerkreis um
Friedrich von Staegemann. Hier lernt sie neben anderen die Brüder Gerlach –
in Ludwig von Gerlach suchte sie ihren 1808 verstorbenen Bruder Ludwig wieder zu
finden, Ludwig von Gerlach hielt erfolglos um ihre Hand an –, Friedrich Förster,
Graf Gneisenau und Wilhelm Müller kennen; letzterer, ein enger Freund des
Bruders Wilhelm Hensel, warb ebenfalls erfolglos um sie und setzte ihr in der
„Schönen Müllerin“ ein durch die spätere Vertonung Schuberts berühmtes
Denkmal.
1816
Taufe der Kinder Fanny, Felix, Rebecka und Paul Mendelssohn in der Neuen
Kirche zu Berlin nach evangelischem Ritus; die Eltern folgen erst sechs Jahre später
diesem Schritt, der ihnen im protestantischen Preußen für das Vorwärtskommen
ihrer Kinder opportun erschein.
Während eines mehrmonatigen Parisaufenthalts erhalten
Fanny und Felix Mendelssohn Klavierunterricht bei der von Haydn und Beethoven
geschätzten Pianistin Marie Bigot de Morogues, den in Berlin der bekannte
Beethoven-Interpret Ludwig Berger fortsetzt. Felix Mendelssohn erhält überdies
Violinunterricht bei Wilhelm Henning
Im September lernt Luise Hensel den Romantiker Clemens
Brentano kennen, der ebenso erfolglos wie heftig um
sie wirbt. Gegen den zwanzig Jahre Älteren, bereits zweimal Geschiedenen hat
insbesondere Luise Hensels Mutter einiges einzuwenden Die beiden wird jedoch
eine lebenslange Freundschaft verbinden. Brentanos Gedichte an Luise Hensel
geben ein Zeugnis dieser großen Liebe und engen Künstlerfreundschaft.
„Diese Lieder [von Luise Hensel] haben zuerst die Rinde über meinem
Herzen gebrochen, durch sie bin ich in Tränen erflossen, und so sind sie mir in
ihrer Wahrheit und Einfalt das Heiligste geworden, was mir im Leben aus
menschlichen Quellen zuströmt.“
Clemens
Brentano am 3. Dezember1817 an seinen Bruder Christian
Im Dezember stirbt Luise Hensels jüngere Schwester
Karoline wenige Wochen nach der Geburt ihres zweiten Kindes in Stettin. Luise
kommt dem Wunsch ihrer Schwester nach, den kleinen Rudolf in ihre Obhut zu
nehmen.
1817
Luise Hensel schreibt ihr berühmtestes Gedicht, das Abendgebet „Müde
bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu.“
1818
Fanny Mendelssohn spielt ihrem Vater als Geburtstagsgeschenk die 24 Präludien
des „Wohltemperierten Klaviers“ von Johann Sebastian Bach auswendig vor.
Diese besondere Leistung wird von allen bewundert, Henriette Mendelssohn, die
Schwester Abrahams, sorgt sich aber um eine Überforderung des Kindes.
Felix Mendelssohn tritt erstmals öffentlich in einem
Konzert in Berlin auf.
„Vielen Beifall erhielt auch das Trio fürs Pianoforte und 2 Waldhörner
von Wölfl, vorgetragen von dem 9jährigen Sohne des Banquier Mendelssohn.“
Der Berliner
Korrespondent in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung
Luise Hensel tritt in der Berliner St. Hedwigs-Kirche bei
Probst Taube zum Katholizismus über. Ihre Konversion sowie die intensive
Verbindung werden als Ursache für Clemens Brentanos Rückwendung zum
Katholizismus gewertet.
„Ich muss in diesem Augenblick denken und fühlen, und es ist mir,
als wär’s wahrhaftig so, nämlich als wäre meine Brust ein Badezuber und
Deine Füße stünden badend und plätschernd in meinem Herzen, und Du sagst:
endlich krieg ich warme Füße.“
Clemens
Brentano an Luise Hensel
1819
Fanny Mendelssohn und ihr Bruder Felix werden Schüler
von Carl Friedrich Zelter, dem Komponisten-Freund
Goethes, der sie in der Kunst der Komposition unterrichtet.
Zum Geburtstag des Vaters am 11. Dezember dediziert ihm
Fanny das Lied „Ihr Töne schwingt euch fröhlich“; ihre erste überlieferte
Komposition.
Der in Preußen latente Antisemitismus, der die
Mendelssohns trotz der reformierten Taufe der Kinder und auch nach der
elterlichen Konvertierung zum Christentum – später durch Richard Wagner und
Friedrich Nietzsche befördert bis in unsere Tage – verfolgen wird, bringt es
mit sich, dass die Geschwister Fanny und Felix auf offener Straße als Juden
angepöbelt werden.
1820
Fanny und Felix Mendelssohn treten in die Berliner Singakademie ein, wo
ihre musikalische Ausbildung weiter intensiv gefördert wird.
Fanny Hensel wird evangelisch konfirmiert.
„Wir
haben Euch, Dich und Deine Geschwister, im Christentum erzogen, weil es die
Glaubensform der meisten gesitteten Menschen ist und nichts enthält, was Euch
vom Guten ableitet.“
„Was du mir über dein musikalisches Treiben im Verhältnis zu Felix
in einem deiner früheren Briefe geschrieben, war ebenso wohl gedacht als
ausgedrückt. Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für dich
stets nur Zierde, niemals Grundbass deines Seins und Tuns werden kann und soll;
ihm ist daher Ehrgeiz, Begierde, sich geltend zu machen in einer Angelegenheit,
die ihm sehr wichtig vorkommt, weil er sich dazu berufen fühlt, eher
nachzusehen, während es dich nicht weniger ehrt, dass du von jeder dich in
diesen Fällen gutmütig und vernünftig bezeugt und durch deine Freude an dem
Beifall, den er sich erworben, bewiesen hast, dass du ihn dir an seiner Stelle
auch würdest verdienen können. Beharre in dieser Gesinnung und diesem
Betragen, sie sind weiblich, und nur das Weibliche ziert die Frauen.“
Abraham
Mendelssohn an seine Tochter Fanny zur Konfirmation
Luise Hensel legt vor dem Jesuitenpater Heinrich Wüsten,
ihrem „Seelenführer“, das Gelübde der Ehelosigkeit ab. Ihren größten
Wunsch, als Nonne in einem Kloster zu wirken, wird sie sich aber der vielen
karitativen Aufgaben wegen versagen. V.a. auch die Versorgung ihres Pflegesohns
Rudolf standen diesem Wunsch entgegen.
ab 1821
Luise Hensel besucht in den kommenden Jahren mehrfach die stigmatisierte
Augustinerinnen-Nonne Katharina Emmerich in Dülmen; mit ihr Clemens Brentano,
der später für einige Jahre nach Dülmen zieht und die Visionen der Nonne
aufzeichnet.
1822
Abraham Mendelssohn konvertiert mit seiner Frau Lea zum Protestantismus;
er gibt sich den zusätzlichen Nachnamen Bartholdy.
Fanny Mendelssohn lernt anlässlich eines
Ausstellungsbesuchs mit
ihren Eltern in dessen Atelier den Maler Wilhelm
Hensel (1794-1861) kennen, sie war ihm im Jahr zuvor erstmals begegnet. Die
zarte Liebesbeziehung zwischen Wilhelm Hensel und der noch sehr jungen Fanny
Mendelssohn ist nicht ungetrübt, denn Lea Mendelssohn sieht die Verbindung mit
dem zwar begabten, aber relativ mittellosen Künstler äußerst kritisch.
Zum 17. Geburtstag schenkt Wilhelm Hensel seiner
angebeteten Fanny einen Lyrikband seines Freundes Wilhelm Müller nebst einem
Porträt des Lyrikers und einem Selbstporträt. Am Tag darauf schickt ihm Lea
Mendelssohn das Geschenk zurück:
„Ich
wollte die Freude des gestrigen Abends nicht durch die Bemerkung stören, dass
ich es nicht passend fände, wenn ein junger Mann einem jungen Mädchen sein
Bildnis schenkt.“
Bei der Rückreise von einem Schweiz-Besuch lernt Fanny
Goethe kennen; dieser interessiert sich aber wesentlich mehr für ihren Bruder
Felix, den ihm sein Freund Zelter im Jahr zuvor als Wunderknaben vorgestellt
hatte.
In diesem und den beiden folgenden Jahren komponiert Fanny
Mendelssohn eine Reihe von Kammermusikwerken, darunter das Klavierquartett
As-Dur und die Klaviersonate c-moll.
1823
Die „Sonntagsmusiken“ beginnen im Hause Mendelssohn, bei denen die
Geschwister Fanny und Felix auftraten und zeitgenössische wie „alte“ Musik
zu hören war.
Luise Hensel zieht bis 1826 nach Wiedenbrück, um ihrem
Pflegesohn Rudolf im dortigen (katholischen) Gymnasium eine gute Bildung
zukommen zu lassen.
„Mir hat dieß Städtchen, das flache aber freundliche Umgebungen,
und was viel wichtiger ist, viel fromme, sittliche Einwohner und sehr gute
Priester hat, von denen ich schon einige kannte, recht gut gefallen ...“
Luise Hensel
an ihren Bruder Wilhelm am 26. April 1823
Am 20. Juli reist Wilhelm Hensel für fünf Jahre –
finanziert durch die preußische Akademie der Künste – nach Rom. Er nimmt
selbst gemalte Bilder der Familie Mendelssohn und der geliebten Fanny mit. Die
Korrespondenz mit Fanny ist ihm von Lea Mendelssohn verboten, so dass er
ersatzweise mit den – hoffentlich – zukünftigen Schwiegereltern
Briefkontakt hält.
„Fanny ist sehr jung und ohne Leidenschaft [...] Sie sollten sie
durchaus nicht in jene verzehrende Empfindung reißen wollen und sie durch
verliebte Briefe in eine Stimmung schrauben, die ihr ganz fremd ist.“
Lea
Mendelssohn-Bartholdy an Wilhelm Hensel
1824
An Felix Mendelssohns 15. Geburtstag findet eine Orchesterprobe seiner
ersten Oper „Die beiden Neffen“ statt. Bei m anschließenden Abendessen
meint Zelter zum Geburtstagskind:
„Mein
lieber Sohn, von heut an bist du kein Junge mehr, von heut an bist du Gesell.
Ich mache Dich zum Gesell im Namen Mozarts, im Namen Haydns und im Namen des
alten Bach.“
Fanny Mendelssohns Lied „Die Schwalbe“ erscheint anonym
im Almanach „Rheinblüthen“.
ab 1824
Felix Mendelssohn Bartholdy komponiert, konzertiert und führt Werke der
„alten“ Meister. Seine Konzertreisen führen ihn in den kommenden Jahren
nach Paris, England, Schottland, Italien, die Schweiz und mehrfach durch die
deutschen Lande.
1825
Die Familie Mendelssohn bezieht das Palais Leipziger Str. Nr. 3, in
dessen Gartentrakt Fanny Hensel später dann mit ihrer Familie bis zu ihrem frühen
Tod wohnen wird.
1827
Die Lieder op. 8 von Felix Mendelssohn Bartholdy, darunter drei Lieder
Fanny Mendelssohns, erscheinen bei Breitkopf & Härtel.
Zelter berichtet Goethe über Fanny Hensels Klagen,
es gäbe so wenig gut vertonbare Lyrik. Daraufhin schreibt Goethe die folgenden
Zeilen am 13. Oktober an Fanny.
Wenn
ich mir in stiller Seele
Singe leise Lieder vor:
Wie ich fühle, daß sie fehle,
Die ich einzig auserkor.
Möcht’ ich hoffen, daß sie sänge
Was ich ihr so gern vertraut;
Ach! aus dieser Brust
und Enge
Drängen frohe Lieder
laut.
Goethe
an Fanny Mendelssohn, 1827
„Wenn es mir gelänge, die richtigen Töne zu ihren Worten zu finden,
würde ich mich vielleicht als weniger unwürdige Besitzerinn solches Schatzes
betrachten dürfen, in welchem Sie mir, mit der Aufgabe zugleich einen Lohn
verliehen haben, den nicht einmal die glücklichste Lösung erwarten durfte.“
Fanny Hensel
in ihrem Dankschreiben an Goethe vom 25. Oktober
Es ist ihr gelungen, die Verse am 19. Januar 1828 äußerst
einfühlsam zu vertonen.
1828
Im Oktober kehrt Wilhelm Hensel von Rom zurück. Fanny ist
verändert, denn sie hat sich in den vergangenen Jahren zu einer 22-jährigen
selbstbewussten jungen Dame entwickelt.
Du bist gut in Sinn und Gemüt. [...] Aber du kannst noch besser
werden! Du musst dich mehr zusammennehmen, mehr sammeln, du musst dich ernster
und emsiger zu deinem eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Mädchens,
zur Hausfrau bilden.
Abraham
Mendelssohn-Bartholdy zum 23. Geburtstag Fannys
1829
Die leicht entfremdeten Liebenden verloben sich und
finden durch intensiven brieflichen und persönlichen
Austausch zu einer neuen, überaus vertrauten und innigen Partnerschaft.
„Guten Morgen, mein bester Wilhelm, möge dir der Himmel eine gute
Nacht geschenkt haben, ich habe innigst an dich gedacht. Und sonderbar, ich habe
nun so stark und klar den ganzen Umfang meiner Liebe empfunden, wie jetzt, wo du
zu meinem tiefsten Kummer daran zweifelst? Ich sage es wahrhaftig nicht um dich
zu beruhigen, Wilhelm, ich sage es dir, weil es mir das Herz abdrückt, es zu
sagen. O, laß uns ganz einig seyn.“
Fanny
Mendelssohn an Wilhelm Hensel, Anfang 1829
„Beinahe hätte ich vergessen, Ihnen zu danken, dass Sie erst aus
meiner Verlobungskarte geschlossen haben, ich sey ein Weib wie Andre, ich meines
Theils war darüber längst im Klaren, ist doch ein Bräutigam auch ein Mann wie
Andre. Daß man übrigens seine elende Weibsnatur jeden Tag, auf jedem Schritt
seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgerückt bekömmt, ist ein Punkt,
der einen in Wuth, u. somit um die Weiblichkeit bringen könnte, wenn nicht
dadurch das Uebel ärger würde.“
Fanny
Mendelssohn an Klingemann 22. März 1829
Am 3. Oktober heiratet Fanny Mendelssohn Wilhelm Hensel. Zu
ihrer eigenen Hochzeit komponiert sie sich zwei Präludien für Orgel.
„Frau Mendelssohn ist eine erstklassige Pianistin. Sie ist keine
oberflächliche Musikerin; sie hat die Wissenschaft gründlich studiert, und sie
schreibt mit der Freiheit eines Meisters. Ihre Lieder zeichnen sich aus durch Zärtlichkeit,
Wärme und Originalität, einige, dich ich hörte waren exquisit.“
John Thompson, In:
The Harmonion of March,
Zur silbernen Hochzeit ihrer Eltern komponiert Fanny Hensel
das Festspiel für sechs Solostimmen, vierstimmigen Chor und Orchester „Die
Hochzeit kommt“, ihr erstes größeres Werk für Orchester. Wilhelm Hensel
verfasste den Text zu dieser dreiteiligen allegorischen Darstellung der ersten,
der silbernen und der goldenen Hochzeit.
1830
Am 16. Juni wird der einzige Sohn von Fanny und Wilhelm Hensel, Sebastian
Ludwig Felix (+1898), geboren. (Spätere Schwangerschaften enden stets mit Früh-
und Totgeburten). Die drei Vornamen erhält der Erstgeborene zu Ehren von Johann
Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und Felix Mendelssohn Bartholdy. Sebastian
Hensel wird später die kommentierte Sammlung der Briefe der Familie Mendelssohn
herausgeben, die als Basis für die Biographien der Mendelsohns dient.
Unter den Liedern op. 9 von Felix Mendelssohn Bartholdy –
bei Breitkopf & Härtel – befinden sich wiederum Kompositionen von Fanny;
und wie bei op. 8 unterlässt Felix wiederum jeglichen Hinweis auf die
Autorschaft seiner Schwester. Selbst als seine Mutter ihn bittet, Fanny zu
ermutigen, ihm mehr Kompositionen zur Veröffentlichung zu überlassen, lehnt
Felix dies ab.
„Aber ihr zureden, etwas zu publizieren, kann ich nicht, weil es
gegen meine Ansicht und Überzeugung ist. [...] Und zu einer Autorschaft hat
Fanny, wie ich sie kenne, weder Lust noch Beruf – dazu ist sie zu sehr eine
Frau, wie es recht ist, sorgt für ihr Haus und denkt weder ans Publikum noch an
die musikalische Welt, noch sogar an die Musik, außer, wenn jener erste Beruf
erfüllt ist.“
Felix
Mendelssohn Bartholdy an seine Mutter Lea
Die Ehe mit Wilhelm Hensel, der Fanny in ihren künstlerischen
Ambitionen bestärkt, ja sie durch Texte für ihr Schaffen durch Vignetten und
Illustrationen zu ihren Kompositionen nach besten Kräften unterstützt, hilft
Fanny Hensel, sich von ihrem übermächtigen Bruder künstlerisch zu
emanzipieren.
1831
Fanny Hensel komponiert die „Cantate nach dem Aufhören der Cholera in
Berlin“, bekannt unter dem Titel „Oratorium nach Bildern der Bibel“, die
Dramatische Szene „Hero und Leander“, zu dem ihr Wilhelm Hensel den Text
schreibt, und die Kantaten „Lobgesang“ und „Hiob“. Die
Kantatenkompositionen stellen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk
Johann Sebastian Bachs dar.
Fanny übernimmt die Leitung der „Sonntagsmusiken“, bei
welchen
ihr über zwanzigköpfiger Chor sowie befreundete
Musiker in den folgenden Jahren Oratorien, Opernarien und Kammermusik von Bach,
Mozart, Beethoven, Weber und Mendelssohn auf einem beachtlichen Niveau aufführen.
Natürlich findet sich hier auch Gelegenheit, ihre eigenen Werke, ihre Lieder
– darunter auch einige Vertonungen der Lyrik ihrer Schwägerin Luise Hensel
–, Duette, Chorlieder, Klavierstücke, , die Szene „Hero und Leander“ für
Sopran und Klavier bzw. Orchester, das posthum als op. 11 erschienene
Klaviertrio und die Orchesterouvertüre, zu deren Aufführung sie das Orchester
des Königstädter Theaters engagiert, einem größeren, begeisterten Publikum
zu präsentieren. Neben Freunden und Bekannten besuchen die
„Sonntagsmusiken“ auch viele berühmte Persönlichkeiten wie die Brüder
Humboldt, Franz Liszt, Clara Schumann, Johanna Kinkel, Heinrich Heine u.a.
1833
Luise Hensel zieht nach Berlin, zunächst zu ihrer Mutter , dann für
rund drei Jahre in die Familie ihres Bruders Wilhelm. Sie führt den Haushalt
und übernimmt die Erziehung Sebastians, der seine Tante zeitlebens sehr schätzen
wird.
1834
Die im Haushalt entlastete Fanny Hensel widmet sich intensiv der Musik.
Komposition vieler Lieder, Klavierstücke, der Ouvertüre C-Dur und des
Streichquartetts Es-Dur.
1835
Die Familie Hensel reist nach Köln, wo Fanny Hensel bei dem
Niederrheinischen Musikfest als Choristin in den von Felix Mendelssohn
geleiteten Konzerten mitwirkt.
Am 19. November stirbt Abraham Mendelssohn-Bartholdy in
Berlin. Felix ist weiterhin gegen die Publikationswünsche seiner Schwester
Fanny.
„Was mein Herausgeben betrifft, so stehe ich dabei wie der Esel
zwischen zwei Heubündeln. Ich selbst bin ziemlich neutral dabei, es ist mir
aufrichtig gestanden einerlei, Hensel wünscht es, Du bist dagegen. In jeder
andern Sache würde ich natürlich dem Wunsche meines Mannes unbedingt Folge
leisten, allein hierbei ist es mir doch zu wichtig, Deine Beistimmung zu haben,
ohne dieselbe möchte ich nichts der Art unternehmen.“
Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy am 22. November 1836
1838
Fanny Hensel gibt ihr einziges öffentliches Konzert, sie tritt in einem
Wohltätigkeitskonzert am 27. Februar auf und spielt das Klavierkonzert g-moll
op. 25 Felix Mendelssohn.
Felix Mendelssohn Bartholdy heiratet Cecile Charlotte
Sophie Jeanrenaud in Frankfurt, die er zwei Jahre zuvor kennen lernte. Das Paar
hat fünf Kinder: Carl (1838), Marie (1839), Paul (1841), Felix (1843) und Lili
(1845).
1839
Beginn der großen Italienreise der Familie Hensel über Leipzig, München,
Mailand, Venedig und Florenz nach Rom. Die Tagebücher Fanny Hensels halten die
beglückenden Erlebnisse in Rom fest.
1840
Durch die französischen Stipendiaten in der Villa Medici – unter ihnen
Charles Gounod – erfährt Fanny Hensel viele Anregungen, die in Kompositionen
und Skizzen zahlreicher Klavierwerke und Lieder münden. Im Herbst kehrt die
Familie Hensel über Neapel, Genua, die Schweiz und Frankfurt wieder nach Berlin
zurück.
1841
Fanny Hensel komponiert den Klavierzyklus „Das Jahr“, der wiederum
mit herrlichen Vignetten Wilhelm Hensels illustriert ist.
Charles
Gounod, der in Rom zum Freundeskreis gehörte,
besucht die Familie in Berlin.
„Frau Hensel war außerordentlich musikalische gebildet und spielte
vorzüglich Klavier. Trotz ihrer kleinen schmächtigen Natur war sie eine Frau
von hervorragendem Geiste und von einer Energie, die man ich ihren tiefen,
feurig blickenden Augen lesen konnte. Zugleich war sie eine selten begabte
Komponistin...“.
Charles
Gounod in seinen Memoiren
1842
Am 12 Dezember stirbt Lea Mendelssohn-Bartholdy.
1843
Fanny Hensel schreibt die Kantate „Faust-Szene“ und die Klaviersonate
g-moll. Sie beklagt sich mehrfach über Taubheit in den Händen. Die ablehnende
Haltung ihres Bruders Felix zur Publikation ihrer Werke schmerzt sie.
„Ein Dilettant ist schon ein schreckliches Geschöpf, ein weiblicher
Autor ein noch schrecklicheres, wenn aber beides sich in einer Person vereinigt,
wird natürlich das allerschrecklichste Wesen daraus.“
Brief Fanny
Hensels vom 24. November 1843 an den Musikverleger Franz Hauser
1845
Eine weitere Reise der Familie Hensel nach Italien, jedoch um der
erkrankten Rebecka in Florenz zu Hilfe zu eilen, die dann am 14. Februar eine
Tochter zur Welt bringt.
1846
Fanny Hensel komponiert ihr Klaviertrio d-moll, das als eines ihrer
bedeutendsten Werke gilt.
Gegen den Willen des Bruders Felix, gefördert durch ihren
Mann Wilhelm, mit Unterstützung durch einen Freund der Familie, Robert von
Keudell, und ermutigt durch Angebote der Verleger Schlesinger und Bote veröffentlicht
Fanny Hensel ihre Sechs Lieder op. 1 bei Bote und Bock in Berlin. Felix gibt
seiner Schwester in einem ironisch gefärbten Schreiben halbherzig seinen
„Handwerkssegen“.
„Endlich hat mir Felix geschrieben und mir auf sehr liebenswürdige
Weise seinen Handwerkssegen ertheilt; weiss ich auch, dass es ihm eigentlich im
Herzen nicht recht ist, so freut mich doch, dass er endlich ein freundliches
Wort mir darüber gegönnt!“
aus Fannys Tagebuch, 14. August 1846
1847
Das Klaviertrio wird bei einer „Sonntagsmusik“ aufgeführt. Die Vier
Lieder für das Pianoforte op. 2 und die Gartenlieder für Chor a cappella op. 3
werden, ebenso wie Klavierstücke op. 4-7, ebenfalls bei Bote und Bock veröffentlicht.
Am 14. Mai klagt Fanny Hensel während der Proben zu den
„Sonntagsmusiken“ über das Versagen ihrer Hände und stirbt kurz darauf an
einem Gehirnschlag.
„Am Morgen hatte sie noch ein Lied von Eichendorff komponiert, dessen
Worte schließen: ‚Gedanken geh’n und Lieder bis in das Himmelreich’.“
Felix
Mendelssohn Bartholdy am 3. Juni an Carl Klingemann
„Sie trat, obwohl jeder ausgedehntesten und schwierigsten Form völlig
mächtig, doch nur mit Ergüssen der unmittelbaren Empfindung, vorzugsweise mit
schönen Liedern, in die Öffentlichkeit, und machte das Anrecht auf Größeres,
das sie vollgütig besaß, nicht geltend. – Die ihren künstlerischen Wert
erkannten, müssen ihn auch erkennen und der Verfasser dieser Zeilen fühlt sich
um so mehr dazu gedrungen, als auch der die schönsten Zeiten der jugendlichen
Kunstentwicklung mit dem Kreise schuldig ist, in welchem sich die seltene
Talentblüte der zu früh von uns Geschiedenen entfaltete! – Und unübersehbar
ist die Zahl derer unter uns, die ihr gleiche Gesinnungen des Dankes und der
Verehrung widmen müssen; das wird ihre schöne Begleitung an den Rand der Gruft
sein.“
Ludwig Rellstab, Nachruf auf Fanny Hensel
„Auf dem Berliner Dreifaltigkeitsfriedhof liegt die Komponistin Fanny
Caecilie Hensel, geborene Mendelssohn Bartholdy unter einem schweren roten
Granitstein, mit einem bis zum hohen A ins Himmelreich sich aufschwingenden
Liedchen daraufgemeißelt, was wohl ihr Gatte angeordnet haben mag, der nun auch
dabei liegt und für sich selbst das gleich helle Grabkreuz wählte wie der
Bruder. So ist Fanny, ganz wie im Leben, schön gerahmt von ihren beiden Männern
oder, wie sie einmal in der ihr eigenen herben Art bemerkt hat: „wie der Esel
zwischen zwei Heubündeln“.
Eleonore Büning,
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.6.1997
Felix Mendelssohn stirbt noch im selben Jahr am 4. November
in Leipzig; er erleidet bei einem Spaziergang mit Cecile einen Schlaganfall.
1848
Wilhelm Hensel, ehemaliger Jägeroffizier, übernimmt in
den 48er-Wirren als Kommandierender das „Berliner Künstler-Corps“. Das
Freicorps unterstützt die royalistische Seite. Auch in der folgenden
Reaktionszeit bleibt Wilhelm Hensel auf Seiten der preußischen Royalisten
politisch aktiv.
1850
Auf Drängen seines Schwagers Wilhelm Hensels hatte Felix Mendelssohn
Bartholdy noch kurz vor seinem Tod weitere Werke der Schwester für den Druck
arrangiert. So erscheinen, durch den Ehemann befördert die Vier Lieder ohne
Worte op. 8, Sechs Lieder op. 9, Fünf Lieder op. 10 und das Klaviertrio d-moll
op. 11.
1851
Wilhelm Hensel verkauft das Mendelssohnsche Anwesen, in dem ihn alles an
seine glücklichen Jahre mit Fanny erinnert. Er erwirbt das Gut Groß Barthen in
Ostpreußen. Er hat die Maleri aufgegeben und widmet sich der Bewirtschaftung
des Hofes und dem Zeichnen. Viele seiner über 400 Zeichnungen sind in den späten
Jahren entstanden.
1852
Luise Hensel zieht für rund zwanzig Jahre mit Gertrud Schwenger nach
Wiedenbrück. Nach ihren rastlosen Jahren, in welchen sie sich vor allem
karitativen Aufgaben der Pflege alter Menschen und der Erziehung mittelloser Mädchen
widmete (u.a. in Berlin, Bonn, Köln, Langenberg, Münster, Koblenz, Aachen, Düsseldorf,
Dülmen, Bocholt, Aschaffenburg und Regensburg) war Wiedenbrück die Heimstatt
ihres Alters.
1861
Am 26. November stirbt Wilhelm Hensel, fast 15 Jahre nach seiner
geliebten Fanny. Luise Hensel besucht ihren Neffen Sebastian Hensel in Groß
Barthen bei Königsberg, um den Nachlass von dessen Vater Wilhelm, die zahllosen
Arbeiten des Malers und Porträtisten, zu ordnen.
„Schön wie er gelebt, so starb er. Eine menschenfreundliche Handlung
wurde die unmittelbare Ursache seines Todes. Ein Kind aufraffend, das in Gefahr
war, von einem Omnibus überfahren zu werden, verletzte er sich selbst am Knie;
von da ab lag er danieder.“
Theodor
Fontane, In: Wanderungen
1874
Luise Hensel wohnt seit Kurzem in Ahlen, wo sie am 15. September unglücklich
stürzt und sich einen Hüftgelenkbruch zuzieht. Ihre frühere Schülerin
Pauline von Mallinckroth, die in ihrem Sinn ihr Leben ganz dem Caritas-Gedanken
unterworfen hat, nimmt sie in den Paderborner Westfalenhof – Kloster der Töchter
der christlichen Liebe – auf.
1876
Am 18. Dezember stirbt Luise Hensel in Paderborn, wo sie am 20. Dezember
auf dem Ostfriedhof beerdigt wird.
Zusammengestellt
aus zeitgenössischen und modernen Quellen
von
Rüdiger Krüger