Topos puella bella

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TOPOS

'PUELLA BELLA'

 

4. DER TOPOS 'PUELLA BELLA'

Die ausführlichste Körperbeschreibung einer schönen, jungen Frau, die uns bei der Aufarbeitung möglicher Traditionen der personarum descriptio a corpore begegnete, ist die im HL. Sehen wir diese in drei Stufen verlaufende sowie die an Galfred von Vinsauf exemplifizierte der mal. Rhetorik als maßgebliche Muster für die Analyse der Körperbeschreibungen in der mhd. Lyrik, so lassen sich vier eng miteinander verzahnte, ineinander übergehende Beschreibungstypen festmachen.

Die vollständigste ist hierbei eine Beschreibung von Kopf bis Fuß; in den uns hier interessierenden Fällen verläuft diese zunächst vom Kopf bis zum Oberkörper, der sich nach einer revocatio eine exakte Beschreibung von den Füßen bis zum Kopf, ohne Verschweigen des Unterleibs und der Scham anschließt, die auch metaphorisch umschrieben werden kann. Wichtig ist hierbei die fiktive Situationseinbettung in den Tanz, die für die Blickrichtung bestimmend ist, wobei ohne Tanzeinbettung die Beschreibung auch direkt nach unten weiter verlaufen kann, dann jedoch viel von ihrem Reiz und ihrer Dynamik verliert. Der vollständige erste Typ begegnet uns in HL 4,1-5/(6,4-7)/7,2-6, wobei zur Einzelbeschreibung v.a. einleitend und beschließend der ganze Körper benannt: HL 4,1/6,4/7,7, oder einzelne Körperteile bzw. -regionen nochmals aufgegriffen werden können: HL 6,5-7.

Der nächstkleinere Typ ist ein Beschreiben von Kopf bis Fuß unter schamvollem Verschweigen des Schambereichs, wobei die descriptio auch schon mit dem Oberkörper beendet werden kann. Dieser Typ tritt uns bei Galfred von Vinsauf, Matthäus von Vendôme und anderen mal. Rhetorikern entgegen, entspricht jedoch auch in seiner den gesamten Unterkörper aussparenden Form der ersten Frauenbeschreibung in HL 4,1ff, die wohl aus den gleichen Gründen hier (noch) abbricht, die auch Galfred zum Verstummen bringen.

Der dritte Typ der Körperbeschreibung zeigt nur noch eine mehr oder weniger vollständige Beschreibung des Kopfes, wobei je nach Kulturkreis die Augen oder der Mund am häufigsten, auch alleine, genannt werden. Sowohl als erotische Stimuli wie auch als Kontaktpunkt (des Blickkontakts) sind diese, als Ausdruck der Seele, der momentanen Stimmungslage ist die gesamte Gesichts-Physiognomie wichtig. Diesen Typ finden wir in HL 6,4-7, eingeleitet durch eine allgemeine Schönheitsansprache. Was im HL sowohl vergegenwärtigendes (verkürztes) Zitat der schon in HL 4,1ff gegebenen Beschreibung wie auch retardierendes Verweilen vor der folgenden, vollständigen Fuß-Kopf-Beschreibung in HL 7,2ff darstellt, wird auch bei alleinigem Auftreten in ähnlicher, verweisender Funktion zu verstehen sein. Der Kopf oder auch nur die Augen bzw. der Mund stehen im emphatischen Schönheitspreis stets als pars pro toto, wie umgekehrt der summarische Hinweis auf den schönen Körper auch für die Einzelglieder Geltung beanspruchen darf. Dieses quantitive, synekdochale Verhältnis ist ja für viele Topoi, in welchen aus nur wenigen Andeutungen ein ganzes Bild, eine Stimmung oder ein Gefühl evoziert werden soll, maßgeblich.

Die drei vorgestellten Typen der Körperbeschreibung, die weitgehend von den Beschreibungen von Männern abweichen, richten sich in der mal. Literatur, v.a. Lyrik, potentiell stets auf junge Frauen bzw. (geschlechtsreife) Mädchen, die sich durch ein eindeutiges Schönheitsideal auszeichnen, das man knapp als schlank, wohlproportioniert, zartgliedrig, mit kleinen Brüsten, langen Armen/Händen/Fingern, blonden Haaren, rotem Mund und einem sanften Lächeln ausgestattet umschreiben kann - ich möchte dies als gotisches Frauenideal bezeichnen.

Ob die einzelnen Frauenbeschreibungen der mhd. Lyrik nun aus entsprechenden Anweisungen und Mustern der mal. Rhetoriken stammen - wie meist behauptet - oder ob das Beispiel des HL oder evtl. vorgefundene Anregungen aus der mlat. oder provenzalischen Liebeslyrik mustergültig gewirkt haben, ist im einzelnen, wie auch die gegenseitigen Einflüsse der genannten Bereiche aufeinander, nicht mehr exakt nachvollziehbar. Inwieweit die gängigen Muster der Beschreibung von Kopf bis Fuß und das umgekehrte Tanzmuster nicht einfach einer anthropologischen Konstante der Blickführung von der Augen-/Kopfhöhe dem anatomischen Prinzip folgend nach unten oder vom die Aufmerksamkeit fokussierenden Tanzschritt dem gleichen Prinzip folgend nach oben gehorcht, wobei die sexuell-erotisch konnotierten Körperteile je nach positiver oder negativer gesellschaftlicher Sanktionierung verschwiegen oder eventuelle negative Sanktionen durchbrechend genannt werden, soll hier nicht weiter diskutiert werden.

Die vorgestellten Typen der Körperbeschreibung der jungen, schönen Frau, die sich als infinite Formen in der folgenden untergliederten Systematik zeigen, sollen in ihrer Gesamtstruktur als Topos puella bella bezeichnet werden.

EXKURS: Zur Bezeichnung des Topos.

Nicht nur einer Laune folgend endstand diese klanglich reizvolle Verbindung puella bella. Die Bezeichnung personarum descriptio a corpore als übergeordnetes Muster verweist zum einen zu direkt auf ihre Herkunft aus schulrhetorischer Tradition; zum anderen ist selbst in dieser Tradition die durch die Liebe angeregte Frauenbeschreibung auf die junge Frau, das geschlechtsreife Mädchen bezogen und nimmt eine Sonderstellung ein: "si agatur de amoris efficacia [...], praelibanda est puellae descriptio et assignanda puellaris pulchritudinis elegantia [...]." Da das lat. pulcher zu viele Nebenbedeutungen hat, abgenutzt ist und zudem relativ hart klingt, und da amoenus - obwohl die semasiologische Nähe zu amo für die Liebeslyrik passend wäre - schon dem Topos locus amoenus, der oft mit puella bella in Verbindung auftritt, zugeordnet ist, habe ich mich für das seltene und späte bellus mit den treffenden Bedeutungen 'hübsch, fein, nett, niedlich, artig, köstlich' entschieden. Für bellus sprechen zudem die etymologische Herkunft von *benlus, Diminutiv zu *benus=bonus und daher die Verbindung zum für unseren Zusammenhang wichtigen ethisch-moralischen Bereich, sowie die reizvolle Klangform - weich, klangvoll und rund das puella, mit stimmhaftem Einsatz, beinahe identisch wiederholend: puella bella.

Struktur des Topos puella bella:

I.a Vollständige Gesamtkörperbeschreibung

von Kopf bis Fuß;

b mit situationsabhängiger Umkehrung

von Fuß bis Kopf.

II.a Gesamtkörperbeschreibung unter Aussparung des sexuell konnotierten Unterleibs (evtl. der Brüste)

von Kopf bis Fuß;

b nur Oberkörperbeschreibung (mit oder ohne Brüste)

von Kopf bis Hand.

III.a Gesamtkopfbeschreibung

vom Haar bis zum Kinn/Hals;

b Beschränkung auf wenige Teile oder gar nur eine Teil

-meist Augen oder Mund.

Die finite Verwirklichung dieses Topos in der mhd. Minnelyrik, seine zögernden Anfänge, mutigen Erweiterungen bis hin zur Ausbreitung des vollständigen Typs sollen im folgenden vor der Folie der personarum descriptio a corpore der mal. Schulrhetorik und den Beschreibungsliedern des HL-'Frühlingszyklus' kurz angerissen werden, wobei wir zunächst einige grundlegende Überlegungen anhand exemplarischer mhd. Textausschnitte zur Diskussion stellen wollen. Bei den folgenden Analysen sowie der entdeckenden Eigenlektüre der mhd. Lieder muss ein besonderes Augenmerk dem je individuellen Umgang mit den Strängen der Tradition des Topos puella bella, d.h. der jeweiligen dichterischen Eigenleistung gelten, die den ästhetischen Reiz des Einzelliedes, der einzelnen Einbettung der Beschreibung der schönen Frau, ausmacht.

 

Anmerkungen

[Die folgenden Anmerkungen werden in Kürze dem Text zugeordnet!]

Ich differenziere diese Typen anders als Baehr (1956) S.126-128, dessen erste beiden Typen (1. allgemeines, hyperbolisches Lob, ohne Einzelheiten; 2. summarischer Gesamteindruck) eigentlich keine Typen der personarum descriptio a corpore darstellen, und von dessen weiteren zwei Typen (3. einer oder mehrere Teile des Kopfes; 4. Beschreibung im einzelnen) v.a. der letzte noch weiter unterteilt werden muss. Leube-Fey (1971) S.39-48 bringt die gleiche Einteilung nach Baehr.

Siehe zum funktionalen Einsatz der Ganzkörpernennung die Hinweise auf mal. Rhetoriken und Körperbeschreibungen in: Leube-Fey (1971) S.24. Zum synekdochalen Gebrauch a toto ad partes und a partibus ad totum zur Steigerung der Affekte vgl.: Lausberg (1973) § 257,3c.

Vgl. 'Poetria nova' V.568-602.

Vgl. die Beschreibung der schönen Helena in: 'Ars.vers.' I,56: .i.Kopf ;und .i.Oberkörper ;ausführlich; 'Ars.vers.' I,57: kurze Gesamtkörperbeschreibung.

Vgl. die von Baehr (1956) S.127f zitierten Verse aus einem Salutz (Liebesbrief) des Provenzalen Arnaut de Maruelh; S.128: Maruelh "beschreibt [...] der Reihe nach die Haare, die Stirne, die Augen, die Nase, das Gesicht, den Teint, den Mund, die Zähne, das Kinn, den Hals, die Brust, die Hände und die Finger. Die Abfolge von oben nach unten ist sorgfältig beobachtet [ob Baehr hier nicht 'beachtet' meint?]. Wenn die Beschreibung bei den Fingern aufhört, so ist dies vielleicht im vorliegenden Falle eine Frage der Schicklichkeit, da es sich um eine Dame handelt." Warum aus "der vollständigen und strengen descriptio" Ohren, Arme und Augenbrauen nicht erwähnt werden, mag im Gegensatz zu Baehrs Spekulationen schlicht an einer HL-Rezeption im Salutz liegen, Ohren und Augenbrauen spielen darin keine, die Arme nur in der Männerbeschreibung HL 5,14 (Hände bzw. Arme) eine Rolle. Vgl. auch: Leube-Fey (1971) S.45.

Vgl. das zu den Tropen Gesagte in: Lausberg (1973) v.a. §§ 558-598.

Vgl. Brinkmann (1925) S.93: "Das Schönheitsideal der Gelehrten und Vaganten ist auch im Minnesang und in der gotischen Plastik herrschend. Wir brauchen nur [...] an das gemessene Auftreten der von Minnesingern verherrlichten Damen, an das Lächeln, die schlanke Taille, die langen Arme der gotischen Skulpturen zu denken." Siehe auch: Brinkmann (1928) v.a. S.164-172; Köhn (1930) v.a. S.92-105.

Vgl. auch die Straßburger Darstellungen der Synagoge und Ecclesia, oben Abb.S.110.

Matthäus von Vendôme 'Ars.vers.' I,40.

 

 

© Dr. Rüdiger Krüger, Rheda-Wiedenbrück 2006
Kontakt: mailto:siegfriedcarl@hotmail.com
letzte Änderung: 26.04.00

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