Aschenputtel

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Aschenputtel

neu in Verse gebracht

von

Siegfried Carl

 

Die Frau des reichen Mannes starb
im Herbst, im Frühjahr drauf erwarb
der Mann sich eine neue.
Sein frommes Kind, das scheue,
litt unter dieser bösen Frau
und deren Töchtern, die genau
so bös wie ihre Mutter waren.
Die wiesen sie ins Aschenloch,
sodass sie grau, nach Asche roch;
grau war ihr Kleid und grau die wunderbaren,
einstmals so zarten Hände, ihr Gesicht, ihr Haar,
weshalb ihr Name fortan Aschenputtel war.
Es musste Linsen, Erbsen aus der Asche lesen,
es durfte nicht mehr sein die Tochter, die es einst gewesen.

***

Das liebe Kind, tagtäglich weint es
am Grab der Mutter, früh verloren;
es dankte täglich Gott, dass es geboren,
und ihrer Mutter gütgen Blick zu spüren meint es.

***

Einst ritt der Vater morgens aus.
"Was bring ich euch nur mit nach haus?"
fragt er; die stolzen Töchter bitten gleich
um Schmuck und teure Kleider, denn sie denken,
"Der Vater, der ist ja so reich...".
Die treue Tochter wünscht vom Vater, ihr zu schenken,
den ersten Zweig, an den er stößt,
wenn er, den Kopf entblößt,
den Heimweg angetreten.
Der Vater tat, wie er gebeten.

***

Aus dem Reis, den das Mädchen mit Tränen begoss,
auf Mutters Grab ein Baum entspross.
Weißwunschvogel saß auf dem Haselbaum
und erfüllte des Aschenputtels Traum.

***

Der König lud zum dreitägigen Feste
alle schönen Mädchen des Landes als Gäste,
denn sein Sohn sucht zur Hochzeit die Braut.
Die stolzen Töchter lachten laut.
Sie waren begehrenswert, jung und schön,
und wollten zum Fest des Königs gehn.
Das Aschenputtel musste sie schmücken,
denn wenigstens einer sollte die Brautwahl glücken.

***

Aschenputtel wär auch gern dabei gewesen,
doch wurd ihm befohlen, erst müsste es lesen
eine Schüssel voll Erbsen vom Aschehaufen
binnen zwei Stunden. Schnell ist es gelaufen
zum Garten: "Ihr Täubchen, ihr Vögel kommt alle,
helft, sonst sitze ich in der Falle.
Die guten ins Töpfchen, - die schlechten ins Kröpfchen!"
Die Täubchen nickten
die Köpfchen,
sie pickten
in sechzig Minuten
die Erbsen, die guten,
in den Topf.
Die Stiefmutter schüttelte nur den Kopf,
und befahl, zuerst müsst es noch lesen
zwei Schüsseln Linsen vom Aschehaufen
in einer Stunde. Schnell ist es gelaufen
zum Garten: "Ihr Täubchen, ihr Vögel kommt alle,
schon wieder sitze ich in der Falle.
Die guten ins Töpfchen, - die schlechten ins Kröpfchen!"
Die Täubchen nickten
die Köpfchen,
sie pickten
in dreißig Minuten
die Linsen, die guten,
in den Topf.
Die Stiefmutter schüttelte wieder den Kopf:
"Du aschgraue Maus bleibst hier,
wir müssten uns schämen wegen dir!"

***

Die Mutter, die Töchter eilten zum Tanz.
Doch Aschenputtel - allein - ging mit seltsamem Glanz
zum Grab der Mutter untern Haselnussbaum
und rief wie im Traum:
"Rüttel-schüttel Bäumchen dich,
wirf Gold und Silber über mich!"
Weißwunschvogel warf ein Kleid herab,
gold-silbern, und seidne Pantoffeln aufs Grab.
Auf dem Feste des Königs unter fünfhundert
Schönen wurde nur sie bewundert.
Der Königssohn hatte nur sie im Sinn
und sagte zu jedem, der sie zur Tänzerin wollte:
"Das ist meine Tänzerin!"
und dass sich der andere trollen sollte.
Am Abend war des Tanzens ein Ende,
da nahm der Königssohn ihre Hände:
"Ich gehe mit dir, ich begleite dich!"
Doch sie entwischte ihm frisch;
vorne hinein ins Taubenhaus
und wie der Blitz wieder hinten hinaus.
Und als die andern ins Haus heimgekehrt,
saß es grau in der Asche am Küchenherd.

***

Anderntags eilten Mutter und Töchter zum Tanz.
Doch Aschenputtel wieder mit seltsamem Glanz
ging zum Grab der Mutter am Haselnussbaum
und rief wie im Traum:
"Rüttel-schüttel Bäumchen dich,
wirf Gold und Silber über mich!"
Weißwunschvogel warf Kleid und Pantoffeln herab,
noch kostbarer, schöner als gestern aufs Grab.
Auf dem Fest des Königs wartete schon
auf die Schönste des Abends der Königssohn.
Der Königssohn hatte nur sie im Sinn
und sagte: "Das ist meine Tänzerin!"
Am Abend wollte die Fremde gehn,
der Königssohn ihr nach, um zu sehn,
wohin es eilt, das schöne Kind,
Doch dies entwischte im Garten geschwind,
auf den birnenschweren Baum hinauf
und hinten herunter, in schnellem Lauf.
Und als die andern ins Haus heimgekehrt,
saß es grau in der Asche am Küchenherd.

***

Am dritten Festtag - die andern warn schon beim Tanz -
bekam Aschenputtel wieder den seltsamen Glanz
und ging zum Grab der Mutter am Haselnussbaum
und rief wie im Traum:
"Rüttel-schüttel Bäumchen dich,
wirf Gold und Silber über mich!"
Weißwunschvogel warf ein goldenes Kleid herab,
und goldne Pantoffeln - nie gesehen - aufs Grab.
Der Königssohn hatte nur sie im Sinn
und sagte: "Das ist meine Tänzerin!"
Am Abend wollte die Fremde gehn,
der Königssohn eilte ihr nach, blieb dann stehn,
er hatte die Treppe mit Pech bestrichen,
und als die schönste der Schönen entwichen,
blieb ein goldner Pantoffel im Pech zurück,
den nahm der Königssohn als Pfand für sein Glück.
Und als die andern ins Haus heimgekehrt,
saß Aschenputtel in der Asche am Küchenherd.

***

Anderntags kam der Königssohn, in der Hand
den goldnen Pantoffel, den im Pech er fand.
Er sprach: "Der Tochter Fuß, der so gebaut,
dass der Pantoffel ihr passt, sie wird meine Braut!"
Die älteste der beiden Schwestern nahm
den Pantoffel, und als in die Kammer sie kam,
um ihn zu probieren, passte die Großzehe nicht.
Auf der Mutter Rat - mit schmerzverzerrtem Gesicht -
hieb sie die Zehe im Übermut
ab und zwängte den Fuß voller Blut
in den Pantoffel. Zum Königssohn tritt
sie, er nahm sie aufs Pferd, er ritt
am Grab, am Haselnussbäumchen vorbei,
da saßen und sahen der Täubchen zwei
das schmerzlich-schöne Gesicht unterm Häubchen.
Grimmig zeterten die Täubchen:
"Ruckediguck - ruckediguck!"
und ruckzuck
war dem Königssohn klar,
dass diese Braut die falsche war.

***

Da ritt er mit der falschen zum Haus zurück,
und nun versuchte die zweite ihr Glück.
Die jüngre der beiden Schwestern nahm
den Pantoffel, und als in die Kammer sie kam,
um ihn zu probieren, passte die Ferse nicht.
Auf der Mutter Rat - mit schmerzverzerrtem Gesicht -
hieb sie sich die Ferse im Übermut
ab und zwängte den Fuß voller Blut
in den Pantoffel. Mit kleinem Schritt
geht sie zum Königssohn, der mit ihr ritt
zum Schloss, am Haselnussbäumchen vorbei.
Wiederum sahen der Täubchen zwei
ein schmerzlich-schönes Gesicht unterm Häubchen
Noch grimmiger zeterten nun die Täubchen:
"Ruckediguck - ruckediguck!"
und ruckzuck
war dem Königssohn klar,
dass dies wiederum die falsche war.

***

Nun ritt er sogleich zum Haus zurück
auf der Suche nach seinem Lebensglück.
Er fragte den Mann, wo die dritte sei,
da brachte dieser Aschenputtel herbei.
"Das ist die Tochter meiner verstorbenen Frau,
das kann nicht die rechte sein, staubig und grau!"
Doch Aschenputtel streift den Pantoffel übern Fuß,
der passte und saß, es war ein Genuss;
und als der Königssohn ihm ins Gesicht geschaut,
da erkannte er sie: "Das ist die richtige Braut!"
Stiefmutter und -schwestern wurden ganz bleich
vor Ärger und erschraken sogleich,
als der Königssohn mit ihm in den Sattel glitt
und geschwind hinauf zum Königsschloss ritt.
Am Grab ein zarter Blick unterm Häubchen,
und lieblich turtelten diesmal die Täubchen:
"Ruckediguck - ruckediguck!"
und ruckzuck
war dem Königssohn klar,
dass es nun wirklich die richtige war.
Und als er die Liebste angeschaut,
saßen die Turteltäubchen auf den Schultern der Braut.

***

Die Stiefschwestern machten zur Hochzeit sich fein,
und schmeichelten sich bei der Schwester ein.
Beim Brautzug zur Kirche danken die Tauben
den bösen Schwestern die Bosheit, sie rauben
ihnen die Augen, sie picken sie aus:
nun ist die Falschheit blind im Haus!

 

© Dr. Rüdiger Krüger, Rheda-Wiedenbrück 2006
Kontakt: mailto:siegfriedcarl@hotmail.com
letzte Änderung: 03.05.00

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