Leben auf der Burg im Spiegel
mittelhochdeutscher Literatur
aus
Anlass der Ausstellungseröffnung
Burgen
im Rems-Murr-Kreis
am
Freitag, 29.September 1995 * 20.00 Uhr in Welzheim
für
Richard Klotz
[Vortragsmanuskript
ohne Bilder und Literatur-Zitate aus mhd. Werken]
Auch
ich darf Sie ganz herzlich am heutigen Abend des St. Michaelstages, des
Schutzherrn und kirchlichen Vorbildes aller Ritter, begrüßen und mich sowohl für
die Vortrags-Einladung als auch für die freundlichen Einführungsworte
bedanken.
Einleitend
darf ich voranschicken, daß ich als Literarhistoriker oder genauer
germanistischer Mediävist sowie als Spezialist für die Geschichte der Ästhetik
heute Abend überwiegend über Literatur oder präziser über mittelhochdeutsche
Dichtung sprechen werde. Dies ist mein Metier, und da ein Schuster stets bei
seinem Leisten bleiben soll, werden angrenzende Gebiete nur stets im Hintergrund
eine wenn auch nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Die Begrenzung der Zeit
– es soll hernach ja noch genügend Raum zur Diskussion und zum Hinterfragen
des Gehörten geben –, die Fülle des Stoffes – die mhd. Literatur ist
beinahe unerschöpflich in ihren unterschiedlichsten Gattungen, Formen und Ausprägungen
über vier Jahrhunderte hinweg –, und die Absteckung des Themenbereichs –
geht es doch heute und hier um die Eröffnung einer Ausstellung zu Burgen des
Rems-Murr-Kreises und ist daher Ihr Interesse eindeutig auf die Burg als ein
mittelalterlicher Lebensmittelpunkt gerichtet –, zwingen mich zur Knappheit,
und Exemplarizität. getreu dem Motto, daß man kein Faß Wein ganz leeren muß,
um zu erkennen, wie ein Wein beschaffen ist, werde auch ich von den angebotenen
Sorten jeweils nur ein Probiergläschen voll reichen. Sollten Sie von der einen
oder anderen Lage noch etwas nachgeschenkt wollen, so ist nach dem Vortrag genug
Zeit gegeben, das eine oder andere Glas gefüllt zu bekommen.
Um
Sie ganz in das Mittelalter zu entführen, soll der Vortrag des heutigen Abends
wie ein Artus- oder Gralsepos des hohen Mittelalters aufgebaut sein. Die grobe
Dreiteilung in Prologus, Narratio und Epilogus läßt sich weiter unterteilen
und differenzieren, in die prinzipielle Zweiteiligkeit des Prologs, den
doppelten Kursus der Narratio, der ‘eigentlichen’ Erzählung des Roman- bzw.
Vortragsgeschehens, und die Knappheit des abschließenden Epilogs. Genau
betrachtet befinden wir uns momentan, seit meinem Gruß, im prologus praeter rem
oder auch prooemnium, d.h. in einer der Erzählung vorangeschickten allgemeinen
Betrachtung, die häufig eine captatio benevolentiae umfaßt, die den Zuhörer
benevolum, attentum und docilem, zu deutsch wohlwollend, aufmerksam und gelehrig
stimmen soll – ich hoffe, daß mir dies just in diesem Moment gelingt. Der
zweite Teil des Prologs, in der antiken und daraus abgeleiteten
mittelalterlichen Rhetorik als eigentlicher prologus oder prologus ante rem
bezeichnet, führt in die Erzählung ein, nennt Quellen und Enstehungsumstände,
oder gibt moralisiernde oder didaktische Hinweise zur folgenden Handlung. Gehen
wir also nun medias in res, oder besser und genauer gesagt, umreißen wir die
Bedingungen, unter welchen sich die folgende Narratio ausbreiten wird im
prologus ante rem:
Denn
das Thema des heutigen Abends „Leben auf der Burg im Spiegel mhd. Literatur“
bedarf der mehrfachen methodologischen Absicherung und Erläuterung, die
sicherlich Eingrenzungen in Ihren Erwartungen darstellen dürften. Denn ich
denke, Sie sind großenteils in der Hoffnung hierher gekommen, zu erfahren, wie
es denn nun „wirklich“ auf einer Burg im hohen Mittelalter zuging, was die
authentischen Quellen über die Realität des Burgenlebens aussagen. Wie die
Wirklichkeit des Lebens auf einer Burg im Hochmittelalter aussah, kann weder mit
Blick auf die spärlichen, der Historiografie an die Hand gegebenen Realien,
noch aus den weitaus reicher sprudelnden Quellen der mhd. Literatur oder ihrer
Handschriftenilluminationen mit auch nur annähernder Sicherheit geschöpft
werden. Bei dieser ernüchternden Vorbemerkung muß bedacht werden, daß ich
hierbei den Blick nur auf die zweite und größte Welle des Burgenbaus während
der Stauferzeit fokussiere; für die Zeit zuvor während der Hoch-Zeit der
Salier sieht die Bilanz noch ernüchternder aus, da es uns für das 11. und
beginnende 12. Jahrhundert auch noch ausreichender schriftlicher Quellen mangelt
und sich die Realienlage noch spärlicher darstellt.
Es
ist dies ein großer Mangel vieler Darstellungen über die Alltagskultur des
Mittelalters, daß sie versuchen, uns mit Zitaten und Bildbeispielen des Spätmittelalters,
ja häufig gar der beginnenden Neuzeit, vermischt mit Szenerien aus der
mittelhochdeutschen Literatur der sog. staufischen Klassik, und unter Verwendung
von Realien aus dem gesamten Mittelalter ein einheitliches Bild vorzugaukeln.
Sie mischen dabei häufig höchst artifizielle fiktive Literatur-Beispiele mit
zufällig überkommenen Realien, und es wird uns ein Eintopf mit Zutaten aus
mindestens drei, in vielen Fällen gar 5 Jahrhunderten als die Leib- und
Magenspeise der Burgherren des Mittelalters präsentiert, der zwar im ersten
Moment sehr schmackhaft ist, bei welchem Nährwert und Haltbarkeit sowie Frische
der Zutaten jedoch sehr zu wünschen läßt.
Wie
fragwürdig ein solches Vorgehen ist, läßt sich mit einem Blick auf die zweite
Hälfte des 20. Jahrhunderts schnell erkennen: obwohl zugestanden sei, daß sich
Entwicklungen und damit Veränderungen in unseren vergangenen fünf Jahrzehnten
wesentlich rasanter darstellen als in früheren Zeitläuften, und obwohl die Brüche
gerade des hier thematisierten Mittelalters nicht so tief sind und die
Entwicklungsgeschwindigkeit extrem verlangsamt ist, so ergibt sich mit Blick auf
die Lebensgewohnheiten, die alltagskulturellen Äußerungen und Gepflogenheiten
wie Mode, Essen, Wohnstil, Freizeitbeschäftigungen etc. beim Heranziehen sowohl
von Realien wie auch von literarischen oder Zeugnissen der Medien durch die Fülle
des Materials ein überaus heterogenes Bild, das deutliche Entwicklungen aber
auch markante Brüche aufweist. Man vergleiche nur Modezeitschriften,
technologische Errungenschaften, Sprachstil und Arbeitsleben zu Beginn der
Bundesrepublik und heute – welch ein Wandel, man glaubt sich bei
Fernsehberichten zur Nachkriegszeit in eine andere Welt versetzt. Gerne werden
solche Entwicklungsfaktoren bei ferneren Epochen aus dem Blick verloren;
vollends, wenn man sich mangels geeigneter Zeugnisse trotzdem ein Bild über
alltagskulturelle Fakten eines bestimmten Zeitraums machen möchte.
In
meinem Vortrag werde ich aus dem sehr uneinheitlichen Zeitraum der Burgenkultur
die relativ homogene Epoche der Stauferzeit, noch enger die Zeit vom späten
Friedrich Barbarossa bis hin zu Friedrich II. in den Blick nehmen. Erstens ist
dies – wie schon angedeutet – eine der fruchtbarsten Zeiten der
Burgenentstehung, der auch viele der Burgen im Rems-Murr-Kreis ihre wichtigste
Ausgestaltung wenn nicht Gründung verdanken. Zweitens ist dies eine Epoche des
Umbruchs und Übergangs, in welcher auf allen Gebieten, vor allem dem der
Baukunst, der Musik, der Philosophie, der Bildungsorganisation, des
Rechtswesens, der Gesellschaftsstruktur einschließlich Stadt-, Ritter und
Klerikerkultur sowie der Waffentechnik neue Strukturen entstehen; dies jedoch
nicht in dem Sinn eines Paradigmenwechsels, wie es der Umbruch des 15. und 16.
Jahrhunderts darstellt, sondern vielmehr im Sinn des zur Blüte, zur Reifung
Bringens. Drittens ist diese Zeit mit Blick auf die deutschsprachige Literatur
gleich zum Beginn einer schriftlich fixierten deutschsprachigen Dichtung ein Höhepunkt,
den wir in Anlehnung an die spätere Weimarer Klassik als staufische Klassik
bezeichnen. Es ist die Zeit des Minnesangs, d.h. der ersten geschlossenen
Lyrikepoche der deutschen Literatur, die v.a. in ihrem herausragenden Vertreter
Walther von der Vogelweide auch Didaxe und politische wie religiöse Themen umfaßt;
die Zeit der großen Artus- und Gralsromane eines Hartmann von Aue, Gottfried
von Straßburg und v.a. Wolfram von Eschenbach, um aus der großen Zahl die drei
Klassiker zu nennen; die Zeit der letztgültigen Fixierung der beiden großen,
anonym überlieferten Heldenepen ‘Nibelungenleid’ und ‘Kudrun’. Und der
Hof, und wir könnten zumeist auch sagen die Burg, ist zweifach Ort dieser
Literatur: erstens spielt die Handlung wenn nicht am Hof so doch in der Sphäre
des Hofes oder die handelnden Personen lassen sich dem höfisch-ritterlichen
Personal zuordnen; zweitens ist diese Literatur an den Hof als Rezeptionsort
gebunden. Da nur maximal 1 % der um 1200 auf rund 8 Millionen geschätzten
Einwohner des Deutschen Reiches (das entspricht in der Summe weniger als 1/20,
dh. unter 5% der heutigen Bevölkerung dieses Gebietes deutscher Kultur), da
also nur ca. 80.000 Menschen zwischen Nordsee, Flandern, den Ostgebieten, dem
Elsaß und Österreich, die Kulturtechnik des Lesens und Schreibens beherrschen
und sich überwiegend auf den Klerus im klösterlichen und bischöflichen
Bereich sowie auf wenige überwiegend weibliche Mitglieder des Hochadels beschränken,
ist der mündliche Vortrag im Palas der Burg die vorwiegende
Rezeptionssituation. Der Autor oder Sänger, nur in den herausragenden Gestalten
geistlichen Standes oder der Ministerialität, dem Ritterstand oder gar dem
Hochadel zugehörend, ist überwiegend dem Stand der rechtlosen Fahrenden
zuzuordnen, der auf Auftrittsmöglichkeiten am Hof bzw. auf der Burg angewiesen
ist.
Wie
im Titel des Vortrags angesprochen halten die Autoren des Hochmittelalters der höfischen
Gesellschaft einen Spiegel vor. Dieser Spiegel gibt jedoch nicht die Realität
wider, wie sie ist, sondern er idealisiert zumeist die ritterliche Situation, er
überhöht sie ins Mythische einer irrealen Utopie ritterlichen Lebens mit einem
selten erreichten ritterlichen Ethos. Der zumeist kärglichen Lebenssituation
vieler Ministerialen und Ritter, die in unwirtlich kalten Burgmauern ein düsteres,
von vielen Beschwernissen und Unsicherheiten überschattetes Leben fristen, wird
die Welt märchenhafter Könige, Ritter und Edelfrauen, höchsten höfischen
Zeremoniells und feinster Lebensart vor Augen geführt. Im literarisch fiktiven
Raum kann so der kärglichen Realität entflohen werden. Vor dieser Folie seien
die folgenden Zitate aus der höfisch-ritterlichen Literatur stets verstanden.
Unmerklich
sind wir in die Narratio, die eigentliche Erzählung geglitten. Wobei im
folgenden die gemachten Einschränkungen, welchen das Thema unterworfen ist,
stets mitberücksichtigt werden müssen. Der erste Kursus der Narratio soll den
höfischen, idealisierten Bereich der mittelhochdeutschen Literatur in den Blick
nehmen. Im zweiten Kursus wird hernach noch die zumeist polemisch oder beinahe
kabarettistisch verfremdete Kritik am Spannungsverhältnis zwischen
Idealisierung und platter Realität thematisiert.
Um
Sie auf die Burg der Herren zu Welzheim im Jahre 1205 zu entführen und Ihnen
zugleich die dichterische, beinahe prophetische Situationsbeschreibung der
politischen und rechtlichen Verhältnisse im Höhepunkt des staufisch-welfischen
Konfliktes, der die Zeit überschattet, nahe zu bringen, singe ich Ihnen den
zentralen Spruch des Reichstons Walthers von der Vogelweide in einer aus der
Meistersingerzeit handschriftlich überlieferten Waltherschen Melodie vor. Zum
fremden Klang mag das bekannte Bild der schon ins 14. Jahrhundert reichenden
Manesseschen Handschrift ein wenig mittelalterliche Optik schaffen.:
‘Ich
saz uf eime steine ...’
‘Ehre’,
d.h. Ansehen vor der Welt und, ‘farnde guot’, d.h. bewegliche Güter, Besitz
oder Reichtum stehen ja nicht nur im Mittelalter im Widerstreit. ‘Gottes
Huld’, d.h. Wohlgefälligkeit vor Gott, zugleich mit ‘Ehre’ und
‘Reichtum’ in einem ‘Schrein’, d.h. im Herzen, so zu verbinden, daß
keines eines der anderen drei Dinge beschädigt, stellt für Walther von der
Vogelweide eine Unmöglichkeit da. Denn ‘Stege’ und ‘Wege’ sind den
christlich- und ritterlich-ideellen sowie materiellen Gütern genommen, weil die
‘Hinterlist im Hinterhalt’ lauert und ‘Gewalt die Straße’ regiert.
‘Friede’ und ‘Recht’, zwei Zentralbegriffe mittelalterlicher politischer
Ethik, sind so sehr verletzt, daß erst deren Heilung den drei angesprochenen, für
jeden Menschen erstrebenswerten Gütern, Sicherheit verleihen könnte.
Es
sind fürwahr brutale Zeitläufte. Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung,
Päpste bannen aus machtpolitischen Erwägungen reihenweise deutsche Könige und
Fürsten, sodaß diese mit all ihrem Gefolge für vogelfrei erklärt sind,
kleinere und größere militärische Konflikte verwüsten ganze Landstriche und
entziehen den Ärmsten ihre ohnehin karge Lebensgrundlage. Gleichzeitig glänzt
das deutsche Reisekönigtum mit größter Pracht- und Machtentfaltung, wird auf
Fürsten- und Hoftagen, an Fürstenhöfen und Bischofssitzen mit nichts gegeizt,
zeigt sich die ritterliche Welt auf Turnieren in all ihrem Reichtum und Glanz.
Auf
Pfalzen, Burgen und burgähnlichen städtischen Steinhäusern lebt etwa 1% der
Bevölkerung, die wir pauschal als dem Ritterstand im weitesten Sinn des Wortes
zugehörig bezeichnen dürfen können. Hiervon existiert nur knapp ein Drittel
auch nach damaligen Vorstellungen in erträglicher materieller Situation, d.h.
ohne permanenten großen Mangel zu erleiden. Die Prachtentfaltung der hochhöfischen
Gesellschaft dürften auch die Herren von Welzheim mitbekommen haben, liegt ihr
Stammsitz doch im Einflußbereich Waiblingens, der Klöster Lorch und Comburg
und der reichen freien Reichsstädte Schwäbisch Hall und Schwäbisch Gmünd, um
nur einige Orte herausragenden höfisch-ritterlichen, kirchlich-monastischen
oder städtisch-patrizischen Zeremoniells der ohne zu großen Aufwand zu Pferd
erreichbaren Umgegend zu nennen.
Für
sich spricht die Ankunft und Aufnahme, die Zeremonie um die Bewirtung, sowie der
ungewollt plötzliche Aufbruch Parzivals auf der mythischen, nur von einem Erwählten
betretbaren Gralsburg Munsalvaesch, die uns vom Namen her als Mont Sauvage auf
die Burg Wildenberg bei Amorbach im Odenwald erinnert, die in mancherlei
Beziehung zum Autor des Parzival, Wolfram von Eschenbach steht – vermutlich
hat dieser Teile des Parzival auf Burg Wildenberg verfaßt. Ich lese Ihnen einen
größeren Abschnitt des Eingangs zum V. Buch des Parzival in der
hervorragenden, ungereimten aber die Versform beibehaltenden Übertragung von
Dieter Kühn vor, da hierdurch ein breiter Einblick in das idealisierte Leben,
die Riten, Kleider- und Frisurmoden, Tischsitten, Eß- und Trinkgewohheiten,
Mobiliar etc. auf der Königsburg an einem Festtag gegeben wird. Auch hierzu
wiederum die Miniatur des Autors aus der Manesseschen Handschrift.
Was
auf der Gralsburg an Prachtentfaltung aufgewandt wird, um den Ersehnten würdig
zu empfangen, welche wertvollen Accessoires in Mobiliar, Kleidung, Eßgeschirr
werden angeführt, welch exquisite Speisen und Getränke aufgetischt und welch
feine Sitten entfaltet. Aus aller Herren Länder sind Waren vom Feinsten
aufgeboten, um den ideellen Wert der höfischen Welt durch ihren materiellen
Wert sichtbar zu machen. Ja selbst im offenen Kamin brennt kein normales Holz,
sondern ein wohlklingendes und sicherlich auch wohlriechendes, wertvolles Holz
aus dem Orient.
Parzivals
Empfang auf der Gralsburg gilt in seiner Prachtentfaltung der Begrüßung
eines herausragenden Einzelnen, ja des erwarteten Thronfolgers – auch wenn
diese Rechnung hier noch nicht aufgeht, da Parzival den oberflächlichen
Ritterlehren seines Oheims Gurnemanz folgt und daher zu diesem Zeitpunkt noch
scheitern muß. Die Stimmung ist traurig-friedlich, Kampf, Turnier und
Reiterspiel haben hier seit langem keinen Platz mehr, sind der Trauer um den
siechen Amfortas gewichen.
Ganz
anders, wenn Herrscher mit größeren Mengen Gefolge den Hof eines anderen
Herrschers auf dessen Einladung besuchen. Hier ist ritterlich-männliches
Turnierwesen angesagt. Wie leicht aus einem zwar martialischen und unfallgefährdeten
aber in seiner Zielsetzung unkriegerischen und nicht auf Verletzung des Gegners
ausgerichteten Reiterspiel im Burghof oder im offenen Feld vor der Burg der
Ernstfall werden kann, wenn das männliche Imponiergehabe in Provokation
ausartet, mag die Szene aus dem Nibelungenlied erläutern, als der Hunnenkönig
Etzel und Kriemhild, die frühere Gattin Siegfrieds, in Begleitung der Burgunder
oder Nibelungen die Morgenmesse verlassen. Ein Buhurt, ein Formationsreiten der
Ritter, das zur Belustigung der Hofgesellschaft veranstaltet wird, schlägt in
offene Aggression mit tödlichem Ausgang um.
Ich
lese Ihnen den längeren Abschnitt in der aus altheimischer Tradition stammenden
Nibelungenstrophe mit zäsurierten Langzeilen im mittelhochdeutschen Original
vor. So ähnlich mag es an einem Winterabend in der Welzheimer Burg geklungen
haben, wenn der Burgherr mit Familie und Getreuen seinen Gästen eine Lesung aus
dem kurz nach 1200 entstandenen Nibelungenlied bot:
Nibelungenlied
Strr. 1868-1896
Kriemhild,
Etzel und die hunnische Hofgesellschaft beobachten von den Fenstern des Palas
her das farbenprächtige Treiben der burgundischen und hunnischen Reiter, die
sich im Wettstreit messen.
Obwohl
Dietrich von Bern besonnen genug ist, eine drohende Eskalation zu erkennen, und
davor warnt, daß in der nicht spannungsfreien Situation der Buhurt leicht in
Ernst umschlagen könne, geht das Spiel heftig weiter. Von einem herausgeputzten
Hunnen läßt sich Volker, der Spielmann, so reizen, daß er ihn niedersticht.
Daraufhin gerät die Situation aus der Kontrolle, und erst die Mahnung Etzels
als Gastgeber, Frieden zu bewahren, kann die Feindseligkeiten vorerst begraben.
Jedoch als Vorspiel zum bevorstehenden Untergang der Nibelungen präludiert
diese Szene die Stimmungslage der sich im Innersten feindlich gesinnten Lager,
ist es doch Hagen seit Anbeginn der Fahrt ins Hunnereich klar, daß hier nicht
Freundlichkeit des burgundischen Königsschwagers Etzel oder Heimweh Kriemhilds
nach ihren Brüdern treibende Kraft der Einladung ins Hunnenreich war, sondern
die immer noch glimmende Rachelust Kriemhilds, um den Tod ihres Helden Siegfried
zu sühnen.
Bei
Turnieren, die zu jedem größeren höfischen Fest gehörten wie die Spätzle
zum gemischten Braten, kam es häufiger zu Unfällen mit tödlichem Ausgang.
Eine von ungezählten literarischen Beschreibungen eines solchen Unfalls können
wir dem anonymen Moriz von Craûn, der um 1185 oder 1225 entstanden ist, entnehmen.
Moriz von Craûn reist in einem herausgeputzten Schiff auf Rädern zur Burg der
Gräfin von Beamunt, die als Lohn für ihre Minne ein Turnier verlangt. Auch
dieser kürzere Abschnitt soll, wie alle folgenden Beispiele, im
mittelhochdeutschen Original erklingen, doch finden wir hier nun den
paargereimten Vierheber, die metrische Form der hochhöfischen Epik, d.h. die im
späten 12 und 13. Jhd. moderne und fast ständig benutzte epische Versform:
Moriz
von Craûn V.891-938
Da
der Graf von Beamunt weinend um den von ihm im Turnier erstochenen Ritter
trauert und gar seine Rüstung ablegt um das Turnier zu beenden, führt Moriz
von Craûn die Ritter mit seinem Rede vom auf dem Trockenen liegenden Schiff
ohne See und mit seinem Hinweis auf die Belanglosigkeit des Todes eines Mannes,
wenn dessen Seele dem Beschützer aller Ritter, Sankt Michael, anempfohlen
werde, die Ritter in ein Turniergemetzel, in welchem noch mancher sein Leben
aushauchen muß. Im ritterlichen Kampf zu fallen, ist keine Schande, sondern
Ehre, so wie das Reiten und Kämpfen, Buhurt, Turnei und Tjost zum Leben des
Ritters gehören.
Dies
muß sich im Iwein des mhd. Klassikers Hartmann von Aue – auch hier wiederum
die Miniatur der Manesseschen Handschrift – der Held gleich zu Beginn sagen
lassen. Als er nach einer ersten Aventiure-Fahrt Askalon erschlagen und dessen
Witwe Laudine geheiratet hat, findet zur Hochzeit und Übernahme der
Landesherrschaft ein prächtiges Fest statt, an welchem auch der Artushof
teilnimmt. Gawan, der vorbildliche Artusritter, nimmt ihn am Ende des Festes
beiseite, um ihn zur Fortsetzung des ritterlichen Aventiure-Lebens zu überreden:
Iwein
V. 2767-2806
Zum
Verständnis sei hier angemerkt, daß im zweiten großen Artusepos Hartmanns
von Aue der Held sich ‘verliget’, d.h. nach der Eheschließung mit Enite
vergißt dieser seine ritterlichen Pflichten sowohl der Landesherrschaft wie
auch der Bewährung im ritterlichen Kampf. Nichts anderes als das Minnespiel ist
ihm im Sinn, und nur der lästige Kirchgang und die notwendige Essensaufnahme
kann seine Liebesspiele unterbrechen. Nachdem der Hof über ihn lästert, muß
er sich in aufwendiger Aventiurenfahrt ritterlich bewähren um seine Ehre
wiederzuerlangen. Damit es Iwein nicht ähnlich ergeht, rät ihm Gawein
dringlich weiterhin das Turnier und damit wahre Ritterschaft zu pflegen. Daß späterhin
Iwein genau dem Gegenteil des Erekschen Schicksals verfällt, indem er sich ‘verrîtet’,
d.h. indem er über Turnier und Aventiurefahrt Landesherrschft und die Ehefrau
vernachlässigt, ja vergißt, und daher in einem doppelten Bewährungsweg
genauso seine ritterliche Ehre wiederherstellen muß, sei hier ergänzend
angemerkt. Die ‘Mâze’, das richtige Maß zu finden zwischen egoistischen
Ich-Bedürfnissen und altruistischen gesellschaftlichen Erfordernissen der
Umwelt, für die man Verantwortung trägt, ist ein Postulat höfischer Ethik, um
dessen Einlösung jeder in Verantwortung stehende Ritter stetig zu bemühen hat.
Selbst
die ritterliche Ausrüstung, von der wir in den bisherigen Zitaten nur am Rande
erfahren haben, wird mythisch überhöht in das ritterliche Tugendsystem
eingebaut. So erklärt im Prosa-Lancelot, der um 1250 anonym auf deutsch
erscheint, die Ziehmutter Lancelots, die Frau vom See, diesem, welche Ausrüstung
ein vorbildlicher Ritter mit sich zu führen hat und welche Bedeutung diese Ausrüstung
im ideellen Bereich hat. Ich werde diesen Ausschnitt aus dem ersten deutschen
Prosaroman vorlesen und direkt paraphrasierend kommentieren, sodaß Sie einen
Eindruck der ritterlichen Ausrüstung erhalten.
Prosa-Lancelot
Bd. I, S.121-123
Bis
hierher haben Sie einen literarisch verfremdeten Eindruck von Fest, Spiel und
Kampf in und um die Burg erhalten. Wohn-, Eß-, Trink- und Turniergewohnheiten,
aus der ritterlichen Ethik ableitbare Lebensweisen sowie die Ausrüstung des
Ritters sind aufgeleuchtet. Ich breche dies hier ab, um zum zweiten Teil der
Narratio zu gelangen, in welchem kritischere Töne den Wandel im Turnierwesen
und den Privathändel knapp, sowie das Zusammenleben der Geschlechter etwas ausführlicher
beleuchten sollen.
Reinmar
von Zweter, Minnesänger und Spruchdichter der ersten Hälfte des 13.
Jahrhunderts in der Nachfolge Walthers von der Vogelweide gibt uns in einem
Spruch über die Gefährlichkeit des Turniers durch die Verwilderung der Sitten
ein ganz anderes Bild als die heren Beschreibungen der höfischen Epik:
Reinmar
von Zweter Nr. 106, ‘Turnieren was ê ritterlîch’
Früher
war das Turnieren ritterlich doch nun ist es vom Streitroß auf das Rindvieh
gekommen. Maulhelden führen sich wüst und todbringend mit Mordmessern und
Keulen, ja gar mit scharfen Äxten auf. Während es früher um
ritterlich-sportlichen Wettkampf ging, bei welchem ein Todesfall einen
bedauerlichen Unfall darstellte – wir erinnern uns, wie im Moritz von Craûn
der Graf von Beamunt den Tod eines im Turnier Gefallenen beweint, wobei Moritz
durch sein Eingreifen zur von Reinmar beklagten Verwilderung der Sitten beiträgt
–, während früher nach der Ritterlehre um hohe sittliche Werte, Höfischheit
und Ehre gestritten wurde, so ist es nun an der Tagesordnung, daß Frauen weinen
und Trauer tragen müssen, weil wegen des Erwerbs einer Pferdedecke Männer
gemordet werden. Die solches heimtückisch tun, dünken sich gar Helden zu sein.
Mit
Sicherheit sind wir mit diesem Spruch der Realität wesentlich näher als mit
den fiktiven Idealdarstellungen der mhd. Epik. Wobei die von Reinmar von Zweter
apostrophierte gute, alte Zeit, zu der das Turnieren noch ritterlich war, eben
nur in Literatur existiert, und als lyrisches Element letzthin nur formelhafter
Topos des Lobens der vergangenen Zeit darstellt. Wie schon oben erwähnt mord
und Totschlag aus nichtigem Grund war im ritterlichen Leben gang und gäbe.
Als
Beispiel für stetig vorkommenden Privathändel schließt sich an den kritischen
Spruch Reinmars von Zweter gut die namensgebende Strophe des sog. Atze-Tons aus
der Spruchdichtung Walthers von der Vogelweide an, wiederum ein Text des frühen
13. Jahrhunderts, der Ihnen auf eine unter Walthers Namen tradierte Melodie, die
uns aus der Meistersingerzeit überkommen ist, vorgetragen sei:
‘Mit
hat her Gerhard Atze ein pfert...’
Wohl
mit einem Pfeil hat ein uns sonst völlig unbekannter Gerhard Atze dem Sänger
sein immerhin drei Mark teures Reitpferd in Eisenach erschossen, indem er
behauptet, das Pferd habe ihm den Finger abgebissen. Dies beklagt Walther und
klagt damit zugleich Herrn Atze beim gemeinsamen Herrn an, denn er behauptet,
sein Pferd habe den Atze nie gesehen. Sowohl der Fakt des Händels aus nichtigem
Anlaß mit blutigem Ausgang, als auch die Klage vor dem Herrn in unterster, sog.
niederer Gerichtsbarkeit darf für die ritterliche Gesellschaft als an der
Tagesordnung bezeichnet werden. Daß eine solche Alltagssituation literarische
Weihen erhalten hat, ist untypisch, und allein der poetischen Potenz des
bedeutendsten Lyrikers des Mittelalters zu verdanken.
Doch
nun zum Thema des Verhältnisses der Geschlechter zueinander. Es soll hier nicht
die Rolle der Frau im Mittelalter beleuchtet werden, dies wäre Thema eines
eigenen abendfüllenden Vortrags. Auch das interessante Gebiet der Minnelyrik
mit ihrer in einer völlig unrealistischen Überhöhung der Frau gipfelnden
Minneideologie, die mehr über die Gefühlsdefizite der dichtenden Männer und
ihres Publikums als über irgendwelche real vorhandenen Beziehungen zwischen
Mann und Frau aussagt, kann nicht in den Mittelpunkt gerückt werden. Nur
soviel, selbst in der mhd. epischen Literatur, welche die idealisierte Überhöhung
der Frau, wie sie der Minnesang entwirft, nur teilweise transportiert, ist die
rechtlose Stellung der Frau als Arbeitskraft und Dienerin des Mannes, ihr neben
dem Arbeitswert letzthin rein sexuell-erotischer ‘Gebrauchswert’ immer
wieder thematisiert.
Lassen
Sie uns gemeinsam einen Blick ins ritterliche Schlafzimmer tun. Hierbei mag uns
wiederum das Nibelungenlied dienen, in welchem sich die mit magischen Kräften
ausgestattete Prünhilt, die nur durch die Tarnkappen-List Siegfrieds für
Gunther als Ehefrau gewonnen werden konnte, ihrem Ehemann im Bett verweigert.
Sie packt, fesselt ihn und hängt ihn an einen aus der Wand ragenden Nagel, an
welchem er bis zum Tagesanbruch hängend über seine Schmach nachdenken kann.
Siegfried verspricht ihm Hilfe, indem er ein weiteres Mal durch die Tarnkappe
geschützt Prünhilt besiegt:
Nibelungenlied
Strr. 648-683
Es
ist dies die Szene einer Vergewaltigung, auch wenn die blutleer-papierene
germanistische Forschung sich häufig um diese eindeutige Wertung herumlaviert.
Prünhilt wird durch Siegfried ihrem Ehemann Gunther gefügig gemacht. Durch den
erzwungenen Beischlaf, durch die Entjungferung verliert sie ihre aus
matriarchaler Vorstellung hinüberragenden magischen Kräfte. Sie wird ein
schwaches (Ehe-)Weib, dem Mann untertan, ihm seine ehelichen Rechte willfährig
gebend und ihm dienend. Es ist hier nicht die Zeit, über das interessante
Kapitel der Kindheit und Erziehung im Mittelalter zu handeln, aber soviel mag
gesagt sein, daß die Kindheit überaus früh beendet war. Ein Mädchen, oder
eigentlich müßte ich sagen eine Frau, war mit 12 oder 13 Jahren im heiratsfähigen
Alter, und obwohl ein Mann mit 14 oder 16 Jahren heiratsfähig war, ist es eher
üblich gewesen, daß ältere Männer blutjunge Frauen heirateten. Da die
Sterblichkeit unter der weiblichen Bevölkerung durch härteste körperliche
Arbeit bei schlechterem Essen als das der Männer, sowie durch die Leiden der
Schwangerschaft und Geburt, auf die keinerlei Rücksicht genommen wurde,
wesentlich höher war als unter der männlichen, lag die Lebenserwartung auch
wesentlich niedriger. Viele Männer des Adels waren mehrfach verheiratet, wobei
die jeweilige Nachfolgerin der Verstorbenen jeweils möglichst jung zu sein
hatte. Die zu verheiratende Frau war eine Ware, deren Tauschwert
Verhandlungssache war und unter politischen wie wirtschaftlichen Interessen
betrachtet werden muß. Daß sich eine Frau, wie im Beispiel des
Nibelungenliedes ihrem Mann verweigert, sich gegen ihn auflehnt, war nach
mittelalterlicher Vorstellung ausgeschlossen, und daher nur in der mythischen
Welt des Burgunderuntergangs darstellbar. Doch durch Siegfried wird die
matriarchale Magie gebrochen, die Männerdominanz wieder hergestellt.
Ganz
nebenbei erfahren wir aus diesen Strophen des Nibelungenliedes auch etwas über
die Ausstattung eines mittelalterlichen Adelsschlafgemachs. Ein großes, hohes
Bett mit Vorhängen, eine Bank sowie ein Schemel werden neben dem schon
genannten Nagel in der Wand erwähnt. Prünhilt ist mit einem weißen Hemd
bekleidet, das durch einen Gürtel gehalten wird. Dies stellt das Schlafgemach
einer Angehörigen des höheren Adels dar, in niedrigeren Schichten schlafen
ganze Familien gemeinsam in einem großen Bett oder einer einfachen Strohschütte,
wenn nicht gar der blanke, strohbestreute Boden als Ruhestätte dienen muß.
In
eine ganz andere, realistische Sphäre weisen die satirischen, polemischen, ja
zum Teil plump-obszönen Lieder Neidharts, eines jungen Zeitgenaossen des älteren
Walther von der Vogelweide, dessen Lieder v.a. vor dem Hintergrund des hochhöfischen
Minnesangs wie ein Gegengesang anmutet. Daß er viel gesungen, weit bekannt war,
beweist nicht zuletzt die handschriftliche Überlieferung, die auch erstmals
beträchtliches Noten- und damit Melodiematerial an die Hand gibt. Ein Beispiel
mag genügen, um zu zeigen, daß die bei Neidhart vorkommenden
Situationsbeschreibungen durchaus auf einen kleinen ritterlichen Sitz wie
Welzheim in bäuerlichem Umfeld passen:
‘Sinc
an, guldin huon ich gibe dir weize ...’
Es
ist dies ein zahmes Beispiel der Neidhartschen Liedkunst, die auch vor dem
direkten Hineingreifen in das weibliche Geschlecht, dem ‘füdenol’, oder dem
Wetzen des männlichen Geschlechts, der ‘weibelruote’, um damit einem
Wiedersacher den Leib aufzureißen, nicht zurückschreckt. Daß unter dieser
Thematik mit dem Auftreten Neidharts das dem höfischen Bereich angehörige Wort
‘geil’ von seiner ursprünglichen Bedeutung ‘fröhlich, ausgelassen’
absinken kann und die sexuelle Ungezügeltheit meint, ist leicht erklärlich. Im
vorliegenden Lied erhofft sich der Sänger den ihm von der schönen Ava als
gackerndes Huhn versprochenen Weizen durch die Geilheit der jungen Schönen
ersetzt zu bekommen. Ausgelassenes Tanzvergnügen in der Stube, bei dem ‘geile
getelinge’, ‘geile Bauernburschen, mit Dorfweibern ihren Spaß haben, manch
einer, wie Adelhalm tanz gar stets mit zwei besonders jungen Weibern
gleichzeitig. Nachdem die Stube leergeräumt, die Fenster geöffnet und nach
Bauerntänzen auch ein Hoftänzchen gewagt wird, beschreibt Neidhart die
anwesenden Bauernburschen. Vor allem der junge Uoze, ein blöder Holländer, der
auch beim Tanzen stets der erste sein will und sich mit Schwertbehang,
modisch-geckenhafter Patchworkkleidung aus 24 Stücken Stoff mit langen Ärmeln
wie ein Ritter kleidet, stört ihn ungemein. Der Geck macht sich nämlich an
Engelbolts Tochter Ava ran, die so schön ist, daß sie gar einem Grafen als
Liebhaberin dienen könnte. Der Dorfbursche soll woanders versuchen abzuzocken.
So, wie der aussieht, sollte er gefälligst die Finger von Ava lassen. Man denke
bloß: in diesem Sommer hab ich si gesehen, wie sie beieinander saßen und er an
ihr rumgebissen hat, wie an einem Stück Brut, schamrot wurde der Sänger, der
ihr sein Besitz Reuental übereignen würde, wenn sie ihm nur ihre Gunst gewähren
würde.
Das
ist mit Sicherheit viel eher eine Zustandsbeschreibung des Lebens eines kleinen,
verarmten Ritters auf dem Land, das uns Neidhart bietet, als das, was
idealisiert im mhd. Epos vorgestellt wird. Von der Forschung wurde sogar schon
vermutet, daß Neidhart mit den geckenhaft herausgeputzten Bauernburschen, die
sich unflätig benehmen, direkt seine ritterlichen Standesgenossen meint. So wie
bei Reinmar von Zweter das ehemals ritterliche Turnieren als nurmehr rinderlich
dargestellt ist, mag sein Zeitgenosse Neidhart sehr wohl mit seinen derben
Liedern eine Bauernpersiflage auf die verwilderten oder verdörferten Sitten des
ritterlichen Lebens meinen. Und wie schon angedeutet, kam diese Art des Dichtens
und Singens an, und es mag gut sein, daß an einem Winterabend des Jahres 1250
zu Neidharts Tanzliedern eine ausgelassene Party in der Welzheimer Burg
stattfand, der gute Remstäler Wein floß in Strömen, und was nach Tanz und
Trank mit den anwesenden Damen geschah, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.
Ein
versöhnliches Ende der Narratio naht nach diesen den Bereich der Liebe und
Minne ganz in die Sphäre des körperlich-sexuellen herabziehenden Beispielen
aus Nibelungenleid und dem Schaffen Neidharts, denn die Geschichte sollte wegen
der antiken, auch die Ästhetik des Mittelalters bestimmenden Forderung des
prodesse ut delectare, d.h. des Nützens und des Erfreuens, nach all dem
Wissenchaftlich-Nützlichen erfreulich enden.
Hören
Sie nochmals, v.a. vor der Folie des über Neidhart Gesagten, ein Lied Walthers
von der Vogelweide, und zwar aus seinen sog. Mädchenliedern das berühmte
‘Under der linden ...’, das ich kontrafaktisch auf eine Melodie der Trouvère-Lyrik
Nordfrankreichs singen werde:
‘Under
der Linden ...’
Es
gibt sie also doch, die natürliche, von gegenseitiger Zuneigung getragene
Liebe. Ganz anders als es die Minnedoktrin des hohen Minnesangs nahe legt, die
erst aus der Nichterfüllung des Liebeswunsches ihre Nahrung bezieht, geht es in
diesem Lied Walthers um die Erinnerung einer (jungen) Frau an den Ort erfüllter
Liebe. Eingeleiten durch den Topos locus amoenus, d.h. den Topos des schönen
Ortes, Linde, Heide, Blumen und Gras und der zarte Gesang der Nachtigal, auf den
frühen Abend verweisend. Hier sind gebrochene Blumen und gebrochenes Gras,
eindeutiges Indiz für den stattgehabten Beischlaf, wie auch das lat. deflorare,
Blumen brechen, für die Entjungferung topisch beweist. Er hat sie schon
sehnsuchtsvoll erwartet und empfängt sie mit Tausenden von Küssen, daß ihr
noch in der Erinnerung der Mund brennt. Aus Blütenblättern hat der Geliebte
eine Schlafstätte geformt An den Rosenblättern kann ein jeder, der diesen
Platz aufsucht erkennen, wo genau ihr Haupt lag. Wüßte jemand, daß er bei ihn
lag, so würde sie sich schämen, niemand soll jedoch je erfahren, was er mit
ihr getrieben hat, außer ihm und ihr – und natürlich dem kleinen Vogel, der
jedoch verschwiegen sein wird.
Auch
das ist Leben auf der Burg im Spiegel mittelalterlicher Literatur, denn hier
erfahrend wir ungeschminkt, daß der un- bzw. voreheliche Beischlaf in freier
Natur etwas scheinbar ganz natürliches ist. Die Einheimischen werden wissen, wo
in Welzheim der Lindenbaum am Brunnen vor dem Tore stand, wo solches seinen
legitimen Platz hatte.
Ich
komme zum Schluß meiner Ausführungen, dem Epilog. Die vorgetragenen Beispiele
aus der höfischen Literatur der sog. Staufischen Klassik – nur winzige
Ausschnitte einer überaus reich entfalteten ritterlich-höfischen Dichtung,
deren Schau-Platz wie Rezeptions-Ort die mittelalterliche Burg und ihr weiteres
Umfeld darstellt –, konnten Ihnen, so hoffe ich, einen kleinen Einblick in die
idealisierte Welt des ritterlichen Burgenlebens geben. Die Träume der idealen
Ritterutopie, aber auch die Kritik an den erbärmlichen Zuständen waren stets
präsent im idealisierenden Zauber- und kritisierenden Zerrspiegel der
Literatur. So, wie hier vorgestellt, war das Ritterleben auf der
mittelalterlichen Burg nicht, aber dies waren die Träume und Sehnsüchte einer
relativ neu entstandenen Elite der mittelalterlichen Gesellschaft.
Lassen
Sie mich schließen mit dem Epilog zum Gregorius des Hartmann von Aue, in
welchem dieser alle Leser und Zuhörer seiner Arbeit, die er wegen der Liebe zu
Gott und seinem Publikum vollendet hat, auffordert, für sein Seelenheil zu
bitten, aufdaß es ihm und dem Publikum so vor Gott ergehe, wie es dem guten Sünder
Gregorius ergangen sei:
Gregorius
V. 3989-4005
Ich
schließe mich der Bitte Hartmanns von Aue bezogen auf Sie und mich
vollinhaltlich an und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich lade Sie
herzlich ein zum Befragen, Ergänzen und Diskutieren des Vorgetragenen.