Drei Beispiele für Textvarianten der Max Fassung
Vorspiel – die Anfangspassage von Szene I/3 – Nachspiel
Vorspiel am Rande der Realität:
Ganz vorne sitzen zwischen den Zuschauern ein Vater mit seinem
Sohn. In der Ferne erscheint schemenhaft eine buschige Baumgestalt, woraufhin
der Sohn aufsteht und sich erschrocken ab- und damit den Zuschauern zuwendet.
Der Vater erhebt sich auch und tritt besorgt auf ihn zu. Während des gesamten
Vorspiels sind im Hintergrund zwischen Büschen und Bäumen Feen, Nymphen,
Nöcke, Faune und andere Elementargeister sowie allerlei Vogelstimmen und
sphärische Musik zu hören. Abseits steht die Fabel im Gewand des Dramas - in
der Hand ein schönes Textbuch - und beobachtet aufmerksam die Szenerie.
Vater [fragend]: Mein
Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?
Max [erschrocken aber
doch auch neugierig]: Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den
Erlenkönig mit Kron und Schweif?
Vater [winkt ab]: Mein
Sohn, es ist ein Nebelstreif.
Erlkönig [lockt von
Ferne mit sanfter Stimme]: Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne
Spiele spiel ich mit dir; manch bunte Blumen sind an dem Strand; meine Mutter
hat manch gülden Gewand.
Max [dreht sich während
der Worte des Erlkönigs langsam und interessiert zu diesem um]: Mein
Vater, mein Vater, und hörst du nicht, was Erlenkönig mir leise verspricht?
Vater [wehrt ihn ab]: Sei
ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; in dürren Blättern säuselt der Wind.
Erlkönig [lockt näher
kommend und drängender, doch mit sanfter Stimme]: Willst, feiner Knabe,
du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; meine Töchter
führen den nächtlichen Reihn und wiegen und tanzen und singen dich ein.
Töchter des Erlkönigs/Chor der Nymphen [lösen
sich aus den Elementargeistern als Gruppe; sie singen und tanzen im
Hintergrund]:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.
Sie kämmt es mit goldenem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei getan.
Max [hat den tanzenden
Frauen/Mädchen mit Aufmerksamkeit zugehört/-geschaut, dreht sich begeistert
zu seinem Vater]: Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort,
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?
Vater [merkt die
Anziehungskraft, der sein Sohn ausgesetzt ist]: Mein Sohn, mein Sohn, ich
seh es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau.
Erlkönig [kommt auf den
Jungen direkt zu, legt den Arm um ihn, verführerisch]: Ich liebe dich,
mich reizt deine schöne Gestalt; [Max schiebt ihn verwundert-irritiert von
sich, drängend:] und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. [er
verschwindet mit Max in den Büschen.]
Max [ruft - gar nicht
empört, eher belustigt - aus der Ferne]: Mein Vater, mein Vater, jetzt
fasst er mich an! ...
Vater [ist zunächst
konsterniert]: Was haben wir da für wunderliches Zeug geredet, aus meiner
Schulzeit erinnere... [er fasst sich an die Stirn und scheint erst zu
begreifen, was passiert ist; er wendet sich dann empört zum Publikum]: Haben
Sie das gesehen? [ruft laut] Max, Max! Komm zurück! [wieder zum
Publikum] Ich nehm sie alle als Zeugen, sie müssen das gesehen haben!
Unglaublich ... ja hilft mir denn keiner?! Da muss doch was geschehn... [ruft
verzweifelt] Hilfe! Hilfe! Man hat meinen Sohn entführt! [Er greift
sich an die Stirn] Das war doch gar nicht der Erlkönig - so ein Blödsinn
- den gibt’s doch gar nicht; das war der Pfarrer, ja der Pfarrer Wein. [Nun
erst recht wütend] Das ist doch die Höhe, so eine granatenmäßige
Sauerei ...
Fabel [die während der
gesamten Zeit zuschaute und während dem Gesang der Töchter des Erlkönigs
langsam näher kam, mit sanfter Stimme]: Oh ja, es war der Erlkönig - und
es war der Pfarrer.
Vater [schaut sie
überrascht an]: Was soll jetzt das schon wieder? Der Erlkönig und der
Pfarrer. Sie wollen mich wohl verscheißern.
Fabel [mit der Stimme
einer Märchenerzählerin]: Nein; wie könnte ich dies. Und deinem Sohn
wird nichts passieren, keine Sorge. Er wird einen wunderschönen Traum
träumen. Lass ihn nur, meine Mutter Phantasie wird ihn sorgsam behandeln,
denn die Phantasie ...
Vater [wehrt ab,
unterbricht sie erregt]: Phantasie? - Was ist Phantasie? - Ist das nicht
der Geister bunter Spielplatz, auf den sie dich als freundliches Kind
mitnehmen, [ärgert sich über sich selbst] was red ich da nur? -
Kindisches Getue, das ist doch Irrsinn, das gibt’s doch gar nicht! [nun
wirklich empört und wütend] Sie stecken mit dem unter einer Decke... [geht
auf die Fabel zu] Ja! So muss es sein. [macht eine drohende Gebärde].
Fabel [breitet ihren
bunten Mantel aus, der wie ein moderner mittelalterlicher Bilderteppich
ausgeschlagen ist]: Gemach, gemach! Rege dich nicht so maßlos auf. Deinem
Sohn wird nichts Übles geschehen. Im Gegenteil.
Vater [immer noch
empört, aber auch mit einer Spur von Neugier]: Eher im Gegenteil? Wie
meinen Sie das - Sie haben doch gesehen...
Fabel [ganz ruhig,
beinahe zärtlich]: Ja, ich habe gesehen - und ich habe gewusst! Ein
Schlaf und ein Traum, ein wilder, wunderschöner Traum, das ist alles, was
deinem Sohn passieren wird. Er phantasiert sich in seine Welt der Märchen,
und es verwebt sich ihm das Diesseits mit der jenseitigen Welt zu einer neuen.
Vater [völlig
verunsichert]: Aber ich habe doch gesehen, wie Max vom Pfarrer...
Fabel [fragt bohrend,
mit ironischem Unterton]: Bist du dir wirklich so sicher, dass es der
Pfarrer war? Hast du nicht auch den Erlkönig gesehen? Es war - ich sagte es
schon - der Pfarrer und der Erlkönig zugleich.
Vater [beginnt sich zu
fassen]: Ja ist es denn möglich. Der Max träumt, und ich schaue ihm
dabei zu, bin Teil des Traumes?
Fabel [sanft, beinahe
zärtlich]: Wiederum ja und nein, sowohl als auch... [Sie greift in
ihren Mantel und holt ein wunderbar geschmücktes Buch hervor] Begleite
mich, mein Freund, wenn ich deinen Sohn auf seinem Weg ins Reich der Phantasie
beschütze, damit es meine Brüder, die Träume, nicht allzu wild mit ihm
treiben.
Vater [jetzt auch ruhig,
beinahe träumerisch wiederholt er]: Ist es denn möglich... - bin ich
wach... oder träume ich...
Fabel [nimmt ihn sachte
am Arm und führt ihn zur Seite]: Nein, du träumst nicht, aber du siehst
ins Reich der Träume und der Phantasie - siehst in den Traum deines Sohnes. [sie
gibt ihm das Buch] Lies mit [sie deutet auf die Szene der
heranschreitenden antiken Gestalten] und schaue...:
Szene I.3. Die amourösen Abenteuer des Göttervaters Zeus
Alva und Undine sind zur Seite abgegangen/geschwommen, da
drängen johlend die Kinder in den Vordergrund.
In einer turbulente Schulszene, in der Max den jungen
Elementarwesen zeigen möchte, wie Schule funktioniert, bringen diese
anspielungsreich die Zeus’schen Liebesabenteuer zur Sprache, wobei Hera nicht
besonders gut wegkommt. Diese tritt als eifersüchtiges und zänkisches Eheweib
auf den Plan und schimpft auf die Männer, Zeus meinend. Zeus verwickelt sie
wütend (aus dem Off) in einen Disput über die Treue und Eifersucht. Leda und
Europa mischen sich ein auf Seiten des Zeus. Alva schaut in die Abgründe der
(ehelichen) Liebe.
Max [zu den jungen
Nymphen, Nöcken, Feen etc. mit welchen er gespielt und sich unterhalten hat]:
Ihr wisst nicht, was eine Schule ist, ich werd’s euch zeigen, wenn ihr
wollt!
kleiner Nöck [gibt ihm
die Hand, schüttelt ihn am Arm]: Au ja, das wär super!
junge Fee [ganz
begeistert]: Toll! - Menschenschule - wie echte Kinder!
Die Anderen [umringen
Max, durcheinander]:
- Ja, mach uns eine Schule!
- Ich will der Klassensprecher sein!
- Was issen das, ein Klassensprecher?
- Schule, Schule - ach, wie freu ich mich!
- Ein neues Spiel, toll, supergeil!
- Was und wer soll der Lehrer sein?... ... ... ...
Max [sehr wichtig]: Also
gut, wenn ihr unbedingt wollt, werd ich der Lehrer sein.
Alle [skandieren
wiederum im Sing-Sang, während sie sich vor Max versammeln]:
Raus aus der Wildschwein-Kuhle,
Wir gehen jetzt zur Schule;
Das Lernen ist ein Klacks
Bei unserm Max! [sie setzen sich erwartungsvoll vor Max ins Gras]
Max [stellt sich in
Positur wie der weiland Lehrer Lämpel]:
Also lautet der Beschluss:
Dass der Mensch was lernen muss.
Nicht allein das A-B-C
Bringt den Menschen in die Höh’;
Nicht allein im Schreiben, Lesen
Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen;
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muss man mit Vergnügen hören.
kleiner Nöck [drängend]:
Jetzt fang schon an, komm; frag uns ruhig, wir wissen von den Lehren der
Weisheit wahrscheinlich mehr als du denkst.
Max [wendet sich an
ihn]: Also gut. Wir wollen’s mal mit der Mythologie versuchen. Was wisst
ihr über die alten Götter? Zum Beispiel über den tollen Zeus, den
Göttervater...
junge Fee [schüchtern]:
Das soll ein ziemlicher Hallodrio gewesen sein:
kleiner Nöck [sehr
aufdringlich]: Hallodrio, was gewesen? Ein geiler Bock ist das...
Max [entrüstet]: Na,
na, so muss man das nicht sagen, geht’s nicht feiner?
kleiner Nöck [wie
zuvor]: Ha, bei mehr als einem Duzend Frauen, die er öffentlich....
[er macht eine entsprechende, obszöne Bewegung] Und jeder weiß es, was,
wie oft und wie! Da sollte "geil" das falsche Wort sein?
Max [abwehrend]: Ja
aber...
kleiner Nöck [unterbricht
ihn]: Nichts "Ja aber"! Denk doch nur daran, dass er’s selbst
mit den andern Göttinnen getrieben hat. Mit seinen Schwestern also. Und sogar
die Demeter hat er rum gekriegt.
Max [muss zustimmen]: Das
ist schon wahr. Doch der Gott-Vater musste ja erst für Götternachwuchs
sorgen, damit aus dem Olymp das wurde, was uns heute noch begeistert. Was wär
die Kunst ohne Apoll oder die Musen.
junge Fee [stimmt auch
zu]: Und auch die Jahreszeiten gäb es nicht, wenn er die Horen nicht mit
Themis gezeugt hätte.
kleiner Nöck [lacht
prustend]: Die Huren... [kriegt sich fast nicht mehr ein vor Lachen] Mit
denen hat er über zwanzig Kinder gemacht.
Max [schaut
verständnislos]: Wie meinst du das nun wieder?
kleiner Nöck [klopft
Max kumpelhaft an die Seite]: Na all die scharfen Menschenweiber, die er
in Tiergestalt oder sonst wie beglückt hat.
junge Fee [lustig
fragend]: Du meinst auch die, die hier auf Urlaub bei uns sind? Die
schöne Helena und all die andern?
kleiner Nöck [kommt in
Fahrt]: Grad die! Die Helena hat er als Schwan gezeugt. Wie er das gemacht
hat, ist mir schleierhaft. [schlägt sich begeistert auf die Schenkel]
Von seiner Hera hat er da wohl wieder mal genug gehabt und wollte mal ne andre
Position probiern.
Hera [giftet und jagt
die Kinder/Jugendlichen auseinander, die sich in der Ferne gruppieren und den
Rest der Szene von dort beobachten]: Euch werd ich helfen, ihr
Grüngemüse! [sie angelt sich aus den Fortlaufenden den Max, den sie am
Ohr festhält] Mich, Hera, und die andern Göttinnen so durch den Schmutz
zu ziehen.
Max [verlegen]: Es
lag wirklich nicht in meiner Absicht, euch zu beleidigen. Ich wollt doch
bloß...
Hera [giftig, äfft ihn
nach]: Ich wollt doch bloß... ich wollt doch bloß... Und wenn man euch
zur Rede stellt, den Schwanz einziehen. So seid ihr Männer, von Kindesbeinen
an. [lässt Max los, der sich schnell zu den Anderen flüchtet will, aber
von Alva an der Hand genommen wird und mit ihr das Folgende beobachtet; Hera
voll Gift und Galle] Doch was den werten Gatten anbelangt, so hat der
Waldschrat recht: Einen geilern Bock gibt’s kaum, der mit dem Ding zwischen
den Beinen denkt.
Demeter [zu Hera]: Ist
dir denn so das Schelten gänzlich einverleibt, Dass ohne Tadeln du keine
Lippe regen kannst?
etc. etc. etc.
Nachspiel am Rande der Realität:
Der Vater hat die Szenerie während des gesamten Stückes
aufmerksam beobachtet, und, begleitet von der Fabel, an einigen Stellen
kommentiert. Wenn nun die Traum-/Märchenszenerie im Dunkel der Erinnerung
verschwindet, harrt er erwartungsvoll seines Sohnes, der noch wie verschlafen
wirkend aus der Szenerie heraustritt und auf seinen Vater zukommt.
Max [reibt sich
verwundert die Augen, wie aus einem langen Traum erwachend, er erblickt seinen
Vater und läuft auf diesen zu]: ... Erlkönig hat mir kein Leids getan
... [er bleibt stehen und besinnt sich] Was sag ich da für einen
Blödsinn? Ich hab geträumt Vater, wunderbar komisch geträumt! Verrückte
Sache...
Vater [sehr ernst]: Ich
weiß, mein Sohn. Und du bist reif geworden...
Max [blickt seinen Vater
fragend mit großen Augen an]: Wie meinst du das, Vater, - reif geworden? [dann
lachend] Tomaten werden reif - und dann schnell matschig und zu Ketchup...
Vater [schaut ihn in
einer Mischung aus Stolz und Vaterliebe wissend an]: Ach lass das, jetzt
kein Scherz!... Ich denke, du weißt schon, was ich meine. Und bist du es etwa
nicht - reif geworden?
Max [beginnt langsam zu
begreifen]: Ja Vater ich habs kapiert - du meinst, dass ich älter
geworden bin! Da hast du recht. Was ich im Traum erlebt habe, was ich gesehen
hab, war ein witziger Schocker, echt toll. Die Welt der Liebe als
Fantasy-Story. [plötzlich sehr ernst] Die Augen sind mir geöffnet,
ich verstehe jetzt! [Er tritt auf seinen Vater zu, um ihm die Hand zu
geben, doch dieser zieht ihn an sich und umarmt ihn zart.]
Vater [seufzt, indem er
seinen Sohn an sich drückt]: Willkommen im Club der Erwachsenen. [schüttelt
den Kopf und sagt lachend] Das ist hier nicht nur ein Thermalbad und ein
Lufkurort, nein, das ist auch gut für eine Gedanken- und Phantasie-Kur! [er
hat den Arm um die Schultern seines Sohnes gelegt und geht langsam ab]
Fabel [schaut den beiden
zärtlich und verständnisvoll von der Seite nach]: Mutter hatte doch
nicht in allem recht; meine wilden Brüder, die Träume, haben auch ihren ganz
speziellen, ja besondern Wert. Aber vielleicht war ich nur noch zu unreif, um
sie wirklich zu verstehen, als sie mich im Gewand des Almanachs zu den Kindern
schickte... Ja so wird es sein: Denn schärfer als der messergleiche Intellekt
zeichnest den Menschen du: Macht der Phantasie.[sie schaut sich erstaunt um
und sagt leise zu sich] Und auch Aquarius hat recht: Welch wunderbares
Fleckchen Erde dies hier ist.