Der Teufel von Herrenalb
Vorbemerkung
von Rüdiger Krüger
Die Welt – ein grandioses Spiel
Zum Inhalt
Der Abt des Klosters Herrenalb überträgt im Jahre 1499 – 500 Jahre vor
unserer Zeit – anlässlich der 350. Wiederkehr der Klostergründung dem jungen
Mönch und Scriptor Aurelius die Aufgabe, ein Weltgerichtsspiel zu verfassen.
Dieses Vorgehen kränkt den berühmten Leiter des Skriptoriums, Johannes Zürn,
der sich übergangen fühlt. Der Abt und der junge Skriptor suchen Schauspieler,
wobei Michael, der Seelenwäger, durch Aurelius selbst, der Teufel durch einen
auswärtigen Scholaren oder Vaganten und die bei Aurelius in den Mittelpunkt des
Spiels gestellten Frauen Maria Magdalena und Martha durch Mädchen (Lene und
Marthe) aus dem Dorf – oder besser aus den dem Kloster vorgelagerten
Bauernhäusern zumeist Leibeigener des Klosters – verkörpert werden sollen.
In die Vorbereitungen der Proben des Spiels hinein, an der viele Dorfbewohner
– Alt und Jung – teilnehmen, platzt die Nachricht, dass der König trotz des
allgemeinen Landfriedens der heilige Inquisition das Recht übertragen habe,
auch im deutschen Reich (am Vorabend der Reformation) nach Häretikern zu
forschen. Zwei dominikanische Inquisitoren treffen kurz darauf, während der
Proben des Spiels, eilfertig ein und beschuldigen, unterstützt durch den von
Neid zerfressenen Johannes Zürn, Aurelius und den Vaganten Maximilian der
Ketzerei, indem die Teufelspassagen des Weltgerichtsspiels für bare Münze
genommen werden. Zwischen den beiden Angeklagten und den mitspielenden Mädchen
haben sich bei Aurelius (Zölibat!) zarte, bei Maximilian stärkere Bande der
Zuneigung ergeben. Die Maßnahmen der Inquisition nehmen ihren Lauf, während im
Dorf, aber auch beim Abt und ihm ergebenen Mönchen, auf Rettung gesonnen wird.
Aurelius kann fliehen und wird im Dorf, als Bauer verkleidet, bei Lene
versteckt; aus den zarten Banden der Zuneigung werden Stricke der Liebe. Der
Inquisitor braucht seinen Erfolg und so wird Maximilian und in Abwesenheit auch
Aurelius zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Der Scheiterhaufen wird errichtet,
und Maximilian bringt in einem großen Monolog eine Strafpredigt vor, die
Reformation, Ende des Klosters, Zerstreuung der wertvollen Bücher etc., ja die
Geschichte Herrenalbs bis zur Jahrtausendwende in 500 Jahren [dem Zeitpunkt
unserer Aufführung] vorhersagt. Die Dorfbewohner zünden, bevor der
Scheiterhaufen angesteckt wird, das Kloster an. Alarm und große Konfusion. Alle
eilen zum Löschen; während Marthe – mit Lene und Aurelius – den Geliebten
vom Scheiterhaufen rettet, und allen Vieren die Flucht ins Badische gelingt.
Historischer Hintergrund 1499
Es ist der Vorabend der Reformation: 1415 wurde Hus auf dem Konzil zu
Konstanz verbrannt. Ein Jahrhundert später tritt Luther auf den Plan und die
Kirchenspaltung nimmt ihren Lauf. Seit 1231 wirkt die v.a. von Dominikanern
durchgeführte Inquisition, ab 1252 unter Nutzung der bis dahin nach dem
Kirchenrecht verbotenen Folter; 1481 findet in Spanien, nach Einrichtung des
Amtes eines Großinquisitors, in Sevilla das erste Autodafé statt. Um die Mitte
des 16. Jahrhunderts wird die Inquisition durch Einrichtung des Heiligen
Offizium durch Papst Paul III institutionalisiert, der vorherige Wildwuchs
teilweise beseitigt.
Wir befinden uns am Wendepunkt des Mittelalters zur Neuzeit, ein
fundamentaler Paradigmenwechsel in Naturwissenschaft, Technik und Kultur findet
statt. 1453 fällt Byzanz als Hauptstadt des oströmischen, byzantinischen
Reiches an die Araber, oströmische Wissenschaftler überschwemmen den Westen
und bringen v.a. im medizinischen und philosophischen Wissen Neuerungen, die
Bestehendes auf den Kopf stellen. Gutenberg hat zwischen 1450 und 1456 den
Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden. Diaz entdeckt 1488 das Kap der Guten
Hoffnung, Vasco da Gama umsegelt es zehn Jahre später 1497/98; Kolumbus ist
gerade zu seiner dritten Amerikareise aufgebrochen, die Nachricht seiner ersten
beiden Reisen verbreitet sich in ganz Europa. Das ptolemäische/geozentrische
Weltbild beginnt zu wanken (Kopernikus, 1515), es sollen allerdings noch über
100 Jahre vergehen, bis es nach Tycho Brahe, Galileo Galilei und Johannes Kepler
ins heliozentrische überführt wird. Der nicht nur technische Wandel umfasst
auch den Handel (Übergang von Waren-Tausch-Wirtschaft zur Geld-Wirtschaft), die
landwirtschaftlichen Produktionsweisen etc. etc.
Auch für Herrenalb eine bedeutsame Zeit: 1482-84 entsteht im Herrenalber
Scriptorium das sog. Herrenalber Gebetbuch (Johann Zürn aus Neimbsheim bei
Bretten). 1497 wird der württembergisch-badische Ausgleich über die
Klosterherrschaft erreicht – letzthin ein Eingriff in seine angestammten
Rechte und damit eine Schwächung des Klosters. 1525 Plünderung des Klosters
durch aufständische Bauernscharen. 1535 Ende der Reichsunmittelbarkeit des
Klosters, Ende der kontinuierlichen Klostergeschichte, Beginn des bis zur
endgültigen Aufhebung des Zisterzienserklosters im Jahre 1649 (nach Zerstörung
des Klosterbezirks 1642/43 – Dreißigjähriger Krieg) andauernden
wechselvollen Zerfallsprozesses.
1149 Klostergründung
1499 Der Teufel von Herrenalb
1649 Aufhebung des Klosters
1999 Der Teufel von Herrenalb
Es ist nicht die Aufgabe des Dichters zu
beschreiben,
was geschehen ist, sondern was geschehen könnte,
d.h. was möglich ist im Sinne der Wahrscheinlichkeit und der Notwendigkeit.
Aristoteles "Poetik"