Mozart auf der Reise nach Bologna
Liebstes
bestes Weibchen
Gestern
Donnerstag den 13:ten ist Hofer mir mir hinaus zum Carl, wir speisten daraus,
dann fuhren wir herein, um 6 Uhr hohlte ich Salieri und den Cavalieri mit dem
Wagen ab, und führte sie in die Loge - dann gieng ich geschwind die Mama und
den Carl abzuholen, welche unterdessen bey Hofer gelassen habe.
Gestern ist
mit der Reise nach Bernstorf der ganze Tag darauf gegangen, darum konnte ich dir
nicht schreiben - aber daß du mir 2 Tage nicht geschrieben, ist unverzeihlich,
heute hoffe ich aber gewiß Nachricht von dir zu erhalten. und Morgen selbst mit
dir zu sprechen, und dich von Herzen zu küssen. Lebe wohl Ewig dein
d. 14.Obr
791. Mozart
Die Sophie küsse
ich tausendmahl.
Constanze presst
den letzten Brief ihres geliebten Wolferl zitternd an ihre Lippen. Dass sie ihn
nicht auf seinem letzten Gang begleiten, ihm nicht Adieu sagen durfte - der
Schmerz lässt ihre Augen überfließen. Und der Zweifel, wo ihr Wolfgang zur
Ruhe gebettet ist… Niemand gibt ihr rechte Auskunft. Und die Schulden, nun stürmen
die Gläubiger auf sie ein. Das von Wolfgang aufgerichtete Kartenhaus ist nach
seiner letzten, endgültigen Abreise in sich zusammengestürzt.
...
Die
schwarzverhangene Reisechaise rumpelte langsam auf Bologna zu. In der Ecke des
ärmlichen Wagens saß eine hagere Gestalt, die sich mit fahriger Hand die
wirren Locken aus der Stirn wischte. Im Mondlicht erkannte man das abgehärmte
Gesicht eines Mittvierzigers, tief hatte das Leben seine Spuren eingegraben.
Insbesondere das unstete Leben der letzten dreizehn Jahre, die er inkognito
unter falschem Namen in untergeordneter Stellung an verschiedenen kleineren
oberitalienischen Höfen verbracht hatte, waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen.
Er musste sich
endlich ein Ventil schaffen; die Melodien, die sein Innerstes ausfüllten, drängten
machtvoll hervor. Und so war in den letzten, von innerer Unruhe geprägten
Monaten in Urbino der Entschluss gereift, Padre Mattei vom Liceo Musicale in
Bologna aufzusuchen. Dieser lässt als einzigen deutschen Komponisten den vor
mehr als einem Dutzend Jahren in Wien verstorbenen Schöpfer der Zauberflöte
gelten, den er vor dessen zu frühem Tod einmal persönlich kennen lernen
durfte, und ihm hoffte sich unser unbekannter Reisender anvertrauen zu können.
In Bologna bog
die Kutsche langsam in die schmale Gasse ein, in welcher der Nebeneingang des
Liceo Musicale im Schatten, den der höher gestiegene Vollmond auf die Gasse
warf, Deckung bot. Langsam, beinahe gebrechlich schlüpfte der Reisende aus dem
vom Leihkutscher geöffneten Schlag, ging die dreizehn Stufen zum Eingang und
zog an der Glocke. Es wurde geöffnet, und nach kurzem, flüsterndem Wortwechsel
ließ man ihn ein und führte ihn zum Zimmer des Padre.
Dieser begegnete
dem seltsamen Fremden kühl distanziert und fragte nach dessen Begehr zu so später
Stunde. Als er sich ihm jedoch näherte und der Schein der Kerze das Gesicht des
Fremden flackernd erhellte, stockte der Padre, wurde aschfahl und schloss mit
einer dämonischen Bewegung die Tür, um den Fremden mit bebender Stimme
anzureden: „Ist's möglich? ... Ihr? ... Es kann nicht, darf nicht sein! …
Doch diese Ähnlichkeit.“ Ruhig entgegnete der Fremde mit fester, beinahe
trotziger Stimme: „Doch, Stanislao Mattei, ihr irrt euch nicht - ich bin der,
den alle seit Jahren als Verstorbenen kennen, ohne je sein Grab gesehen zu haben
... Wolfgang Amadé Mozart.“
Der Padre und
der Fremde, dessen wichtiges Geheimnis nun gelüftet war, schlossen sich mehrere
Tage, ja mehr als eine Woche ein und ließen niemanden zu sich vor. Nur in der
Dunkelheit ging man einige Minuten in den vor neugierigen Blicken geschützten
Hof des Liceo oder aß im Speisesaal ein paar vom Tage übrige Happen. Man
redete lange und intensiv miteinander - und manchmal vernahmen Vorbeigehende aus
des Padres Studierstube den Klang des Cembalos, und waren verwundert, den Padre
als Könner des deutschen, speziell des mozartschen Cembalospiels neu zu
erfahren.
Plötzlich ein
lautes Rufen zu fast schon mitternächtlicher Stunde: „Gioachino ... Gioachino
... der kleine Rossini, er möge kommen.“ Eilende Schritte auf den Gängen
unterbrachen die Nachtruhe der Schüler, die nie erfahren würden, welcher denkwürdigen
Nacht sie unter dem Dach des Liceo Musicale in Bologna beiwohnten. Lautes Türenquietschen,
und ins Zimmer trat ein etwa vierzehnjähriger, pausbäckiger Knabe, der sich
die verschlafenen Augen wischte und Padre Mattei fragend anblickte. „Sing er,
was er so mag!“ forderte Mattei den Knaben auf. Und dieser sang mit einem
glockenhellen Sopran die heute völlig unbekannte Arie in G-Dur der Papagena Wenn
Männchen und auch Weibchen / eng beieinander sind / geht zwischen sie kein
Scheibchen / weils Herz zum Herzen findt aus der Zauberflöte, seiner - wie
er offenherzig bekannte - Lieblingsoper. Als Mozart diese nie erklungene
Papagena-Arie aus dem Mund des jungen Gioachino hörte, war ihm mit einem Mal
klar, dass Padre Mattei die richtige Wahl getroffen hatte, seine verwegene Idee
in die Tat umzusetzen. Da Mozart Rossini am Cembalo accompagnierte, und mit
einigen Verzierungen ungehörter Art aufwartete, fasste der Knabe eine durch
Neugier getriebene Zuneigung zu dem ihm gänzlich Fremden. Er selbst konnte nämlich
kein Instrument so richtig spielen, insbesondere war es ihm unmöglich, Noten zu
lesen. Erbteil der Mutter - das keiner bei dem Sohn des berühmten Professore di
corno di caccia an der Akademie Bologna, Giuseppe Rossini, vermutet hätte.
Als sich Mozart
dem Gioachino zu erkennen gab, was diesem die hellsten Erstaunenslaute
entlockte, und gemeinsam mit Padre Mattei den Plan erläuterte, Rossini als
seine zweite Komponistenexistenz aufzubauen, schossen dem kleinen mehrere
widerstreitende Gedanken durch den Kopf. Jedoch es siegte, wie es in seinem späteren
Leben zumeist der Fall sein wird, die Vernunft. Was gab es Schöneres, als ein
gemachtes Bett, in das man sich nur noch fallen lassen brauchte. Und als Mozart
ihm sogleich einige Sonaten für zwei Violinen, Cello und Kontrabass, eine
Sinfonie und die beinahe fertige Partitur seiner, Rossinis erster Oper mit dem
Titel „Demetrio e Polibio“ zeigte und am Cembalo anspielte, gab es kein
Halten mehr.
In aller Eile
wurden ein knapper Vertrag aufgesetzt, und in der Schreibstube des Liceo
Musicale zwei deutsch- und vier italienischsprachige Exemplare desselben
gefertigt - wobei Padre Mattei den deutschen und Mozart den italienischen
Vertragstext formulierte und handschriftlich aufs Papier brachte, was im
nachfolgend aufgeführten deutschen Text zu einigen Sprachgewaltsamkeiten geführt
hat, da Mattei des Deutschen nicht vollständig mächtig war.
...
Und so nahm die
Musikgeschichte ihren Lauf. Wäre nicht das von Mozart dem Mattei gegebene
Exemplar im Liceo Musicale eingemauert und mir von einem unbedarften Handwerker
bei der jüngsten Renovierung in die Hände gegeben worden, wir würden noch
heute dem musikalischen Genie Rossinis auf Festivals und in Opernhäusern
huldigen: Anstatt uns seiner wahren Bestimmung, dem virtuosen Umgang mit
schwarzen Trüffeln, Rindermedaillons und Gänseleber zuzuwenden.
Es wird uns nun
auch sehr bald klar, warum der kleine Gioachino Rossini im Rufe stand, ein
Liebhaber deutscher Instrumentalmusik zu sein und deshalb von seinen Mitschülern
den Spitznamen „il tedeschino“ erhielt. Auch Rossinis Äußerung - kurz vor
seinem Tode und mehr als sechzig Jahre nach diesem denkwürdigen und
musikgeschichtlich bedeutsamsten Geheim-Kontrakt - über sein Mozart-Bild wird
erst jetzt in all ihrer subtilen, ja hintergründigen Ironie offenbar: „Die
Deutschen sind von jeher große Harmoniker, wir Italiener die großen Melodiker
in der Tonkunst gewesen; seitdem sie im Norden aber einen Mozart hervorgebracht
haben, sind wir Südländer auf unserm eigenen Feld geschlagen, denn dieser Mann
erhebt sich über beide Nationen: er vereinigt mit dem ganzen Zauber der
Cantilene Italiens die ganze Gemütstiefe Deutschlands, wie sie in der so genial
und reich entwickelten Harmonie seiner zusammenwirkenden Stimmen hervortritt.“
Die ganze Tragik
ermessen wir allerdings, wenn wir den wahren Grund der schweren, auch tiefste
Depressionen einschließenden Krankheit des Lebemannes Rossini erkennen: Anfang
der Dreißigerjahre des 19. Jahrhunderts muss Wolfgang Amadé Mozart hochbetagt
gestorben sein - und Rossini verstummte. Erst in den Fünfzigern beginnt er mit
seinem sogenannten „Alterswerk“, den Klavier- und Vokalwerken, welchen man
die ganz eigene, an und durch Mozart geschulte Handschrift des italienischen
Maestro der Lebens- und Kochkunst ansieht.
nach einem Motiv Lorenzo Arrugas
Nachtrag:
Umschrift
des Geheim-Kontrakts [Liceo Musicale cod.rxr]
Ich
verpflichte, all die Gelder von zahlmeistern zu theilen in zwey Theile dem Padre,
vier Theile Gioachinen zu eygen und dem ganzen Rest nach der Schwyz aufd Bank.
Alle jahr im mindest ein Opera, inzwischen ein Mess, paar Sonata und so weyter
und alls ym Styl Rossini sodaß convenieret. Dy Kost und und chambre ym Liceo
auff dLebzeyt.
Und
hernachm Tot sey all seyn.
Bologna den
5:ten novbre 1806